Dritter Artikel. Gott begreift voll erschöpfend Sich selber.
a) Gott scheint Sich nicht vollständig zu begreifen. Denn: I. Augustin sagt (lib. 82. quaest. qu. 14.): „Was sich begreift, ist für sich beendet und begrenzt.“ Gott aber ist allseitig unbegrenzt. Also begreift Er Sich nicht. II. Wird dagegen eingewendet, daß Gott wohl im Verhältnisse zu uns unendlich sei, nicht aber sich selbst gegenüber; so wird geltend gemacht, daß mit mehr Wahrheit etwas Sein hat, insofern es bei Gott Sein hat, als insofern es bei uns ist. Wenn also Sich selbst gegenüber Gott begrenzt ist, bei uns aber unbegrenzt; so wird Er mit mehr Wahrheit begrenzt sein als Er unbegrenzt ist. Das ist aber falsch. Also ist auch falsch, daß Gott sich erschöpfend begreift. Auf der anderen Seite sagt Augustin l. c.: „Wer sich selber erkennt, der begreift sich auch.“ Gott aber erkennt Sich. Also begreift Er Sich auch.
d) Ich antworte, daß Gott Sich selber vollkommen begreift. Das erhellt aus folgendem. In dem Falle wird etwas ganz und gar begriffen, wenn alles daran erkannt wird, was erkennbar ist, und man somit bis an das Ende der Erkenntnis, soweit dieser Gegenstand reicht, gelangt. Das geschieht z. B., wenn ein beweisbarer Satz mit Gewißheit erkannt wird und nicht bloß aus Wahrscheinlichkeitsgründen. Nun ist es aber offenbar, daß Gott Sich selber so vollkommen erkennt, wie Er vollkommen erkennbar ist; denn jegliches Ding ist erkennbar in derselben Weise, wie es thatsächliches Sein besitzt. Nichts wird nämlich erkannt, insoweit es im Zustande der Möglichkeit ist, sondem weil und insofern es thatsächliche Wirklichkeit hat, wie dies im IX. Metaph. gezeigt wird. Soweit aber reicht die Erkenntniskraft Gottes, wie weit sein Sein Thatsächlichkeit hat; denn gerade deshalb ist in Gott Erkenntnis, weil Er frei und völlig getrennt ist nicht nur von jeglichem Stoffe, sondern auch von allem Vermögen und sonach ohne jede Entwicklungsfähigkeit besteht. Daher ist es offenbar, daß Gott Sich selbst soweit erkennt als Er erkennbar ist; und somit begreift Er Sich vollkommen.
a) I. Wenn „Begreifen“ im wörtlichen Sinne genommen wird, so bedeutet es etwas, was noch ein anderes Sein in sich hat und dieses umschließt; wie meine Hand den Stein z. B. umgreift. Und in diesem Sinne muß alles was be- und umgriffen wird, begrenzt sein. So aber wird es nicht von Gott ausgesagt, daß seine Vernunft etwa ein anderes Sein sei, wie Er selbst; und daß sie so Ihn habe und umschließe. Solche Redeweisen sind in der Weise zu verstehen, daß von Gott das Unvollkommene darin entfernt wird. Denn sowie von Gott gesagt wird. Er sei in Sich selbst, weil Er von nichts außerhalb Seiner selbst zusammengehalten wird, so wird Er von Sich selbst voll und ganz begriffen, weil an Ihm nichts ist, was Ihm verborgen sei. „Das Ganze wird im Anschauen begriffen, wenn es so geschaut wird, daß nichts von ihm dem Schauenden verborgen ist“ sagt Augustin (ad Paul. ep. 112. c. 9.). II. „Gott ist Sich gegenüber begrenzt;“ das ist nach einem gewissen Verhältnisse zu verstehen. Denn ähnlich wie sich etwas Begrenztes zur geschöpflichen Vernunft verhält, indem es über die Grenzen der letzteren im Erkennen nicht hinausgeht; — so verhält sich Gott zu seiner Vernunft, indem nichts in Ihm über das Erkennen der Vernunft hinausgeht und so noch weiter Erkennbares übrig bliebe. Nicht aber in dem Sinne wird Gott Sich selbst gegenüber begrenzt genannt, als ob Er selbst verstehe. Er sei begrenzt.
