Zwölfter Artikel. Gott erkennt Endloses.
a) Das scheint gegen das Wesen des Endlosen. Denn: I. „Endlos ist jenes, wobei, was auch immer davon genommen oder erfaßt wird, noch etwas übrig bleibt,“ wie Aristoteles (III. Phyr.) sagt. Und Augustinus (12. de Civ. Dei 18.) schreibt: „Was durch das Wissen umschlossen wird, ist dadurch selber beendet.“ Endloses aber kann kein Ende haben. Also kann es nicht erkannt werden. II. Es kann auch nicht angenommen werden, daß das, was endlos für uns ist, für Gott begrenzt erscheint. Denn das Wesen des Endlosen besteht darin, daß es nicht durchmessen werden kann, und das des Begrenzten im Gegenteil darin, daß es durchmessen werden kann. Das Endlose aber kann weder vom Unendlichen noch vom Begrenzten durchmessen werden, wie 6. Physic. bewiesen wird. Also kann das Endlose nicht geendet sein für das Unendliche und endlos für das Begrenzte. III. . Die Wissenschaft Gottes ist das Maß dessen, was gewußt wird. Gegen das Wesen des Endlosen aber ist es, gemessen zu werden. Also wird es nicht gewußt von Gott. Auf der anderen Seite sagt Augustin (12. de Civ. Dei 18.): „Obgleich für endlose Zahlen keine Zahl ist; so ist doch auch dies nicht unbegreifbar für jenen, dessen Wissen von keiner Zahl gemessen wird.“
b) Ich antworte, daß, da Gott nicht nur mit unfehlbarer Sicherheit weiß, was. thatsächliche Existenz hat, sondern auch, was noch im Zustande des Vermögens sich befindet, was also entweder von seiten der Kreatur oder von seiner Macht aus geschehen kann; und, da dies offenbar unendlich viele Dinge umfaßt, deshalb notwendig behauptet werden muß, Gott wisse ohne Ende vieles. Und mögen auch manche die Ansicht haben, das Wissen der Anschauung habe von seiten Gottes nicht ohne Ende viele Dinge zum Gegenstande, da es nur jene Dinge umfaßt, die einmal wirklich waren oder thatsächlich existieren oder existieren werden, die Welt aber nicht von Ewigkeit sei und auch nicht in Ewigkeit dauern werde, soweit es auf die Bewegung und Erzeugung der einzelnen Dinge ankomme, daß also auch eine gewisse Grenze für die wirkliche Existenz der letzteren bestehen müsse; — so ist dem gegenüber doch daran festzuhalten, daß Gott auch vermittelst des Wissens der Anschauung endlos viele Dinge erkenne. Denn Er erkennt auch die Gedanken und Wünsche der Herzen, die bei der Unsterblichkeit der vernünftigen Geschöpfe bis ins Unendliche sich vervielfältigen werden. Das hat nun darin seinen Grund. Das Wissen eines jeden entspricht in seiner Ausdehnung durchaus der Beschaffenheit jener Erkenntnisform, welche das innere Princip für das einzelne Erkennen ist. Denn das Bild, das im Sinne ist, giebt nur die Ähnlichkeit eines einzelnen Dinges wieder und so wird vermittelst desselben nur etwas Einzelnes erkannt. Die Erkenntnisform der Vernunft aber, die Idee, ist die Ähnlichkeit des betreffenden Dinges mit Rücksicht auf die Natur der allgemeinen Gattung, an der ohne Ende viele Einzeldinge teilnehmen können, so daß unsere Vernunft kraft der Idee „Mensch“ gewissermaßen ohne Ende viele einzelne Menschen erkennt, zwar nicht insoweit sie voneinander verschieden sind, wohl aber insoweit sie alle die gemeinschaftliche Gattung tragen; denn die Idee „Mensch“ in unserem Verstande ist nicht die Ähnlichkeit der Menschen in ihren Einzelheiten, sondern in den Principien ihrer Gattungen. Das Wesen Gottes aber, kraft dessen die göttliche Vernunft erkennt, ist die ausreichende Ähnlichkeit alles dessen, was ist und was sein kann, nicht nur soweit es die gemeinsamen Principien anbelangt, sondern auch mit Rücksicht auf alles das, was das einzelne zum einzelnen macht. Daraus folgt, daß das Wissen Gottes sich auf endlos zahlreiche Dinge erstreckt und zwar nicht nur auf das ihnen Gemeinsame, sondern auf das, wodurch sich das eine vom anderen unterscheidet.
c) I. Das Wesen des Endlosen kommt dem Umfange, der Quantität zu. Zur Natur der Quantität aber gehört die Aufeinanderfolge in' den Teilen. Das Endlose also erkennen nach der Weise des Endlosen heißt einen Teil nach dem anderen erkennen — und so wird das Endlose als solches nie gekannt; denn immer können noch weitere Teile bezeichnet werden. So aber erkennt Gott nicht; nämlich nach der Richtschnur einer Aufeinanderfolge, nach und nach. Vielmehr erkennt Er alles zugleich. Und deshalb besteht für Ihn kein Hindernis, das Endlose zu erkennen. II. Das Durchmessen, so daß von dem einen ins andere übergegangen wird, schließt in sich die Aufeinanderfolge der Teile ein; und in dieser Weise kann Endloses nicht durchmessen werden, weder vom Begrenzten noch vom Unendlichen. Um aber voll zu begreifen, genügt verhältnismäßige Gleichheit; denn das wird voll begriffen und umschlossen, von welchem außerhalb des Begreifenden nichts übrig bleibt. Und in dieser Weise ist es nicht gegen die Natur des Endlosen, daß es vom Unendlichen umschlossen wird. Und demgemäß ist richtig, wenn gesagt wird, was in sich endlos wird, das sei mit Rücksicht auf das alles umfassende Wissen Gottes begrenzt, d. h. umschlossen; nicht aber, daß es gleichsam durch den Übergang von einem zum anderen in den Teilen durchmessen würde. III. Das Wissen Gottes ist nicht das Maß der Dinge, wie ein dem Umfange entsprechendes Maß etwa gleich der Elle; eines solchen Maßes allerdings entbehrt das Enblose als solches. Es mißt vielmehr die Wissenschaft Gottes den inneren Seinsgrund, das Wesen und die Wahrheit der Dinge. Denn jegliches hat so viel von Wahrheit in seiner Natur, als es gewissermaßen nachgebildet ist dem Wissen Gottes und somit das letztere nachahmt; gleichwie das Kunstwerk es macht, inwiefern es der Kunst des Meisters entspricht. Existierten nun auch wirklich Vielheiten, welche Thatsächlichkeit ohne Ende in der Zahl wären, wie z. B. ohne Ende viele Menschen; oder ein Umfang ohne Ende, wie z. B. nach der Meinung der Alten, wenn die Luft eine Ausbreitung ohne Ende hätte; so ist doch offenbar, daß all dies eine bestimmte Natur haben müßte, denn das Sein dieser Dinge würde existieren gemäß den Grenzen ganz bestimmter Naturen. Und danach wäre all dieses meßbar gemäß der Wissenschaft Gottes.
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