Elfter Artikel. Gott erkennt die einzelnen Dinge als einzelne.
a) Dies scheint gegen die Vollkommenheit der göttlichen Vernunft zu sein. Denn: I. Die göttliche Vernunft ist einfacher und vom Stoffe weiter entfernt wie die unsrige. Die letztere aber erkennt das Einzelne nicht als solches auf Grund ih«er Stofflosigkeit; vielmehr „ist der Gegenstand der Vernunft“ nach Aristoteles (2. de anima) „das Allgemeine, der Gegenstand der Sinne das Einzelne als solches“. Also erkennt noch weniger Gott das Einzelne als solches. II. Nur jene Kräfte in uns richten sich auf das Einzelne als solches, welche in sich solche Formen aufnehmen, die von den stofflichen Existenzbedingungen, wie Zeit, Ort, Umsang, nicht losgelöst sind. Das Lichtbild z. B. steht zusammen mit diesen stofflichen Bedingungen im Auge. Gott aber ist auf der höchsten Stufe der Stofflosigkeit. Also nimmt Er solche Formen nicht in Sich auf und erkennt somit nicht das Einzelne. III. Kenntnis geschieht auf Grund einer Ähnlichkeit. Eine Ähnlichkeit aber zwischen Gott und dem Einzelnen als Einzelnem scheint in Gott nicht angenommen werden zu dürfen; da das Princip des Einzelnen der Stoff und somit nur reines Vermögen ist, um etwas zu werden, zwischen welchem und der reinen Thatsächlichkeit, wie sie in Gott ist, offenbar keine Ähnlichkeit besteht. Auf der anderen Seite heißt es prov. 16, 2. „Alle Wege der Menschen liegen offen vor seinen Augen.“
b) Ich antworte, daß Gott Einzelnes erkennt. Alle Volllommenheiten nämlich, die in den Geschöpfen vorgefunden werden, sind in Gott von vornherein vorhanden und zwar in einer höheren Seinsweise. Einzelnes erkennen gehört aber zu dem, was wir an Vollkommenheit in uns besitzen. AIso muß notwendigerweise Gott das Einzelne erkennen. So betrachtet es auch Aristoteles für unzukömmlich, daß etwas von uns erkannt werde, was Gott seinerseits nicht erkenne; und er argumentiert gegen Empedocles, daß Gott ja höchst unwissend sein müsse, nenn er die Zwietracht nicht kännte. Jene Vollkommenheiten jedoch, welche in den niedrigen Seinsarten geteilt existieren, sind in Gott in höchster Einheit und Einfachheit vorhanden und aus diesem Grunde erkennt Gott sowohl das Einzelne als auch das Allgemeine vermittelst seiner in höchster Einfachheit bestehenden Vernunft, während wir durch ein anderes Vermögen das Allgemeine und vom Stoffe Losgelöste und durch ein anderes das Einzelne im Stoffe Befindliche erkennen. Auf welche Weise jedoch diese im höchsten Grade einfache Erkenntnisweise rücksichtlich des Einzelnen in Gott zu denken sei, das wollten einige Gelehrte darthun und meinten, daß Gott das Einzelne erkennt auf Grund und vermittelst des Erkennens der allgemeinen Ursachen. Denn in keinem Einzelnen findet sich etwas vor, was nicht von einer allgemeinen Ursache herrührte. Zum Beispiel: Wenn ein Astronom alle Bewegungen der Himmelskörper mathematisch wüßte, so könnte er vorhererkennen alle zukünftigen Sonnenfinsternisse. Das genügt jedoch in keiner Weise. Denn die Formen und Vollkommenheiten, welche das Einzelne vermittelst der allgemeinen Ursachen erhält, mögen wie auch immer miteinander verbunden werden; sie werden nicht zu etwas Einzelnem, wenn nicht der Stoff sie dazu macht. Wer sonach den Sokrates erkannte dadurch, daß derselbe weiß ist oder des Sophroniskus Sohn oder was auch sonst anstatt dessen genommen wird, der würde ihn nicht erkennen, insofern Solrates dieser (einzelne) Mensch ist. In der eben angegebenen Weise würde also Gott das Einzelne nicht kraft und in dessen Einzelnheit, nicht eben als Einzelnes erkennen. Andere noch behaupteten, daß Gott das Einzelne erkenne dadurch, daß Er allgemeine Ursachen für besondere einzelne Wirkungen gebrauche. Das ist aber nun gar nichts. Denn niemand kann etwas zu irgend welcher besonderen Wirkung gebrauchen oder auf eine solche anwenden, wenn er diese letztere nicht vorherkennt. Ein solcher Gebrauch oder eine solche Anwendung kann also kein Grund sein, Einzelnes oder Besonderes zu erkennen; sondern setzt vielmehr die Erkenntnis des Einzelnen voraus. So muß denn diese Kenntnis anders erklärt werden. Da nämlich Gott die Ursache der Dinge kraft und vermittelst seines Wissens ist, so erstreckt sich so weit das göttliche Wissen, als sich erstreckt seine verursachende Kraft. Da nun die thätige verursachende Kraft Gottes sich nicht nur auf die Formen erstreckt, welche den Grund abgeben für das Allgemeine, sondern auch auf den Stoff, der den Grund abgiebt für das Besondere, Einzelne; so erscheint es notwendig, daß das Wissen Gottes sich bis auf das Einzelne erstreckt, da dieses eben erst durch den Stoff ein Einzelnes wird. Denn da Gott kraft seines Wesens Anderes als Er selbst ist erkennt, inwiefern dieses Wesen nämlich als das bewirkende Princip alles anderen Seins dessen Ähnlichkeit ist, erscheint es unbedingt erfordert, daß das Wesen Gottes das vollauf hinreichende Princip für die Kenntnis alles dessen ist, was durch dasselbe geschieht; nicht nur gemäß den allgemeinen Formen, sondern auch gerade insoweit das Einzelne als Einzelnes erwogen wird. Das Wissen des Künstlers könnte hier als Beispiel benützt werden, wenn durch dasselbe das Kunstwerk seinem ganzen Sein nach hervorgebracht würde und nicht bloß die demselben gegebene Form.
c) I. Unsere Vernunft löst die Erkenntnisform oder die allgemeine Idee von allen Einzelheiten und deren Principien los. Es kann da also keine Ähnlichkeit bestehen zwischen unserer Vernunft, resp. deren vom Stoffe losgelöster Erkenntnisform, und den Einzelheiten oder deren Principien. Deshalb erkennt unsere Vernunft nicht die Principien des Einzelnen in den Dingen; denn sie kann nur erkennen, soweit ihre Erkenntnisform reicht, vermittelst deren sie thatsächlich erkennt; — und diese Erkenntnisform ist nur deshalb eine solche, weil sie die Principien des Einzelnen, das suppositum als innere Möglichkeit für das Einzelne, von sich ausschließt. Die Erkenntnisform Gottes aber ist nicht deshalb stofflos, weil sie vom Stoffe absieht; sondern aus und durch sich selbst. Sie ist das Princip aller Principien im Seienden, mögen diese die Gattung begründen oder das Einzelsein; durch sie, also durch sein Wesen, erkennt Er als wirkendes Princip alles Einzelne. II. Dasselbe gilt als Antwort auf den zweiten Einwand. Stoffliche Seinsbedingungen hat die Erkenntnisform Gottes nicht; aber ihre wirkende Kraft erstreckt sich auf Stoffliches und Stoffloses. III. Insoweit der Urstoff etwas werden kann, hat Er dies von Gott und ist Ihm danach ähnlich.
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