Fünfzehnter Artikel. Gottes wissen ist unveränderlich.
a) Das scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Das Wissen hat Beziehung zum Gegenstande. Was aber die Beziehungen der Kreaturen zu Gott ausdrückt, wird von Gott erst im Verlaufe der Zeit ausgesagt: wie „Herr“, „Schöpfer“. Also ist das Wissen Gottes veränderlich gemäß der Veränderung der Kreaturen. II. Gott kann mehreres wirken als Er wirkt. Also kann Er auch mehreres wissen. Somit ist Sein Wissen veränderlich. III. Gott wußte, daß Christus werde geboren werden. Jetzt weiß Er, daß Christus geboren worden ist. Also nicht was auch immer Er gewußt hat, das weiß Er; denn Er weiß nicht mehr, daß Christus geboren werden wird. Auf der anderen Seite sagt Jakobus (1.17): „Bei Gott ist keine Änderung und nicht der Schatten eines Wechsels.“
b) Da das Wissen Gottes seine Substanz und diese seine Substanz unveränderlich ist, wie früher gezeigt worden, so muß auch sein Wissen durchaus unveränderlich sein.
c) I. Ausdrücke, wie „Herr“, „Schöpfer“, schließen in sich ein Beziehungen der Kreaturen, soweit diese in sich selber sind. Das Wissen Gottes aber schließt ein diese Beziehungen, soweit sie in Gott sind. Denn danach ist jegliches Verstandene thatsächlich erkannt, gemäß dem es im Erkennenden ist. Die geschaffenen Dinge sind aber in Gott unwandelbar und unveränderlich; nur in sich selber wandelbar und veränderlich. Oder noch anders: „Herr“, „Schöpfer“ und Ähnliches drückt Beziehungen aus, welche dem Wirken Gottes folgen, insofern dieses in den Kreaturen selber ein Ende hat, insofern also diese in sich sind. Und deshalb werden sie verschiedentlich ausgesagt gemäß dem Wechsel der Kreatur. „Wissenschaft“, „Liebe“ u. dgl. drückt aber Beziehungen aus, welche dem Wirken Gottes folgen, insoweit dieses in Gott endet, also in Gott Sein hat. Und deshalb werden sie unwandelbar von Gott ausgesagt. II. Gott weiß auch das, was Er machen kann und doch thatsächlich nicht macht. Daraus also, daß Er mehr hervorbringen kann, als Er hervorbringt, folgt nicht, daß Er mehr wissen kann als Er weiß; es müßte denn dies auf das Wissen des Anschauens bezogen werden; gemäß welchem Er weiß, was zu einer gewissen Zeit thatsächlich Sein hat. Daraus aber, daß manches sein kann, was nicht ist; und daß nicht sein kann, was ist, folgt nicht die Veränderlichkeit in seinem Wissen, sondern nur dies, daß Er die Veränderlichkeit der Dinge kennt. . Nur wenn etwas thatsächliches Sein erhielte, was Gott früher nicht gekannt hätte, nun aber kennt, ist sein Wissen veränderlich. Das aber kann nicht sein. Denn was auch immer zu gewisser Zeit Wirklichkeit hat, das sieht Gott in seiner Ewigkeit. Wird also etwas vorausgesetzt als zu irgend welcher Zeit im Dasein befindlich, so muß es auch als von Ewigkeit her in Gott gewußt vorausgesetzt werden. Gott kann also nicht mehr wissen, als Er weiß und nicht nachher wissen, worüber Er vorher in Unkenntnis war. III. Die alten Nominalisten meinten, es sei dies ganz derselbe Satz: Christus wird geboren, Christus ist geboren worden, Christus wird geboren werden; denn es sei dieselbe Sache, die damit ausgedrückt wird. Und danach würde Gott, was Er als geschehen gewußt hat, allerdings auch als gegenwärtig geschehend wissen und in seinem Wissen wäre demgemäß kein Wandel. Doch diese Ansicht ist falsch. Denn 1) die Verschiedenheit der Teile in einer Aussage verursacht die Verschiedenheit der Aussage selbst; 2) würde folgen, daß, wenn ein Satz für eine Zeit wahr sei, er es für immer sein müßte; was gegen Aristoteles ist, der da (Praedic. cap. 1. de subst.) sagt: Der Satz „Sokrates sitzt“ ist nur wahr, so lange er sitzt. Deshalb ist zuzugeben, daß der Satz falsch ist: Was auch immer Gott gewußt hat, das weiß er; wenn dies auf den Inhalt des Satzes bezogen wird. Doch folgt daraus kein Wandel in seinem Wissen. Sowie nämlich und zu einer anderen Zeit falsch. Freilich würde das Wissen Gottes einen Wechsel zulassen, wenn Er Prädikat und Subjekt zusammensetzen müßte oder voneinander trennen; wie das bei uns geschieht. Darum ist unsere Kenntnis nach zwei Seiten hin dem Wechsel unterworfen: 1. mit Rücksicht auf Wahrheit und Falschheit; wie wenn, nachdem die Sachlage gewechselt hat, wir darüber dieselbe Meinung wie früher haben; 2. mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Ansichten; wie wenn wir zuerst urtheilen, daß Jemand sitzt, und dann urteilen, daß er nicht mehr sitzt.
