Dreizehnter Artikel. Gott erkennt mit Gewißheit das zukünftig Zufällige.
a) Dagegen spricht der Grundcharakter sowohl der Wissenschaft Gottes wie des Zufälligen oder Freien. Denn: . I. Von einer mit Notwendigkeit wirkenden Ursache gehen Wirkungen hervor, die unter dem Bande der Notwendigkeit stehen. Gottes Wissen aber ist die Ursache der gewußten Dinge. Da dieselbe also notwendig ist, darf sie auch nur Notwendiges wissen. II. Jeder Bedingungssatz, dessen Vordersatz mit der Bedingung notwendig ist, bedingt auch im Folgesatze die Notwendigkeit. Denn so verhält sich der Vordersatz zum Folgesatze wie die Principien zu den aus denselben hervorgehenden Schlüssen. Aus notwendigen Principien folgen aber notwendige Schlußsätze, (l. Postes.) Nun ist dieser Bedingungssatz wahr: Wenn Gott wußte, dieses Zufällige werde zukünftig sein, so wird es sein; denn Gottes Wissen umfaßt nur Wahres. Der Vordersatz ist hier notwendig, sei es weil das Wissen Gottes ewig ist sei es daß er die Vergangenheit betrifft: Wenn Gott wußte. Also schließt auch der Folgesatz Notwendigkeit ein. Also ist, was auch immer Gott weiß, im Bande der Notwendigkeit eingeschlossen. – III. Alles, was von uns wirklich gewußt wird, ist notwendig, soweit es gewußt wird; denn wirkliche Wissenschaft besteht nur über das, was thatsächlich gewiß ist, also nicht anders sein kann. Gottes Wissenschaft aber ist gewisser als die unsrige. Also kann nichts zukünftig Zufälligee von Gott gewußt werden, da nichts für die Zukunft Zufälliges mit Notwendigkeit und demgemäß mit unumstößlicher Sicherheit Sein hat. Auf der anderen Seite heißt es im Ps.32,15: „Der da die Herzen derselben einzeln bildete; der da mit Gewißheit erkennt ihre Werke,“ nämlich der Menschen. Die Werke der Menschen aber sind frei, also nicht notwendig. Also weiß Gott das Zufällige oder Freie.
d) Ich antworte, daß, da oben gezeigt worden, wie Gott alles weiß nicht nur was thatsächlich ist, sondern auch was in seinem Vermögen oder in dem der Kreatur sich vorfindet, darunter aber manches dem Zufall oder der Freiheit Unterworfene vorhanden ist, daß also Gott auch die zukünftigen und freien Akte und überhaupt das Sein, insoweit es zufällig und in „Zukunft“ ist, erkennt. Dabei ist zu erwägen, daß diese Art von zukünftigem Sein in doppelter Weise betrachtet werdm kann; einmal in sich selber, insofern es bereits thatsächliche Existenz hat, und so angesehen ist es nicht zukünftig, sondern gegenwärtig; und es ist nicht nach einer von beiden Seiten hin, nach dem Nichtsein oder dem Sein, eine Bestimmung erwartend, sondern nach einer ganz bestimmten Seite hin ist es bestimmt. Und deshalb ist es, so aufgefaßt, einer unfehlbar sicheren Kenntnis unterworfen, wie dem Gesichtssinne das Sichtbare; z. B. wenn ich sehe, daß Sokrates sitzt. In anderer Weise kann es betrachtet werden insoweit es in seiner Ursache ist. Und dann ist es noch zukünftig und nicht nach einer Seite hin bestimmt; denn es ist der kontingenten Ursache wesentlich, von sich aus für den Gegensatz offen zu sein. So nun ist das Zufällige einer unfehlbar sicheren Kenntnis nicht zugänglich. Wer also eine Wirkung nur in einer solch kontingenten Ursache erkennt, besitzt von ersterer nur eine wahrscheinliche Kenntnis. Gott aber kennt alles Zufällige nicht nur insoweit es in seinen Ursachen ist, sondern auch insofern ein jegliches von dergleichen Dingen thatsächlich eigene Existenz hat. Und wenn auch die zufälligen Dinge und die freien Handlungen nur nach und nach in gewisser Aufeinanderfolge thatsächliche Existenz gewinnen; so erkennt Gott deshalb nicht das eine nach dem anderen, sowie dies bei uns der Fall ist, sondern Er erkennt sie alle zugleich. Denn seine Kenntnis hat ihr Maß in der Ewigkeit, wie ja auch gleichmäßig sein Sein; die Ewigkeit aber, die da ganz und zugleich besteht, umfaßt alle Zeitdifferenzen. Daher sind alle Dinge, welche in der Zeit existieren, von Ewigkeit her Gott gegenwärtig; nicht nur aus dem Grunde, weil Er deren inneren Seinsgrund in seinen Ideen Sich gegenwärtig hat, wie sich manche ausdrücken; sondern vielmehr weil sein Schauen von Ewigkeit sich auf alles erstreckt, soweit es in seiner Gegenwärtigkeit steht. Daher ist es ganz offenbar, daß das Freie und im allgemeinen alles Zufällige mit unfehlbarer Gewißheit von Gott erkannt wird. Denn alles das liegt wie gegenwärtig offen vor dem göttlichen Auge; und trotzdem ist es zufällig und zukünftig im Verhältnisse zu den nächsten Ursachen.
c) I. Allerdings ist die höchste Ursache notwendig; die Wirkung kann jedoch zufällig sein auf Grund dessen, daß die nächste Ursache mit Zufälligkeit wirkt. So ist die Entwicklung der Pflanze zufällig auf Grund der nächsten Ursache, die ihrer Wirkung ermangeln kann; während die im Bereiche des Stofflichen erste Ursache, die Bewegung der Sonne, mit Notwendigkeit wirkt. Ähnlich sind die Wirkungen, welche Gegenstand des göttlichen Wissens sind, zufällig wegen der nächsten mit Zufälligkeit wirkenden Ursachen; und trotzdem ist das Wissen Gottes, also die höchste Ursache, notwendig. II. Einige sagen, daß dieser Vordersatz: „Gott wußte, dieses Zukünftige trete zufällig ein“ in sich keine Notwendigkeit einschließe, sondern ebenfalls zufällig sei; weil derselbe, obgleich er über Vergangenes aussage, trotzdem eine Beziehung habe zum Zukünftigen. Aber dies nimmt selbigem nicht die Notwendigkeit. Denn was Beziehung zum Zukünftigen hatte, von dem ist es eben notwendig, daß es diese Beziehung hatte; möchte auch das Zukünftige nicht gefolgt sein. Andere sagen, dieser Vordersatz sei zufällig, weil er zusammengesetzt ist aus zwei Gliedern, von denen das eine notwendig ist, das andere zufällig; und somit folge der Charakter des Ganzen dem schwächeren Teile; wie etwa dieser Satz zufällig ist: Sokrates ist ein weißer Mensch. Das ist aber nun erst recht nichts. Denn wenn gesagt wird: Gott hat gewußt, dieses Zukünftige werde eintreten, so ist das Zufällige, was im „Zukünftig“ eingeschlossen wird, nicht ein wirklich integrierendes Hauptglied des Satzes, sondern nur der materielle Inhalt des Zeitwortes oder Prädikats. Seine Zufälligkeit oder Notwendigkeit trägt nichts dazu bei, daß der Satz selber notwendig sei oder zufällig, wahr oder falsch. Denn es kann eben so wahr sein, daß ich gesagt habe, Sokrates läuft oder Gott ist, als es wahr sein kann, daß ich sagte, der Mensch ist ein Esel; und ganz derselbe Grund waltet ob beim Notwendigen und Zufälligen. Deshalb muß gesagt werden, der Vordersatz sei absolut und ohne weiteres notwendig. Und trotzdem folgt nicht, wie einige behaupten, daß der Folgesatz von vornherein und ohne weiteres notwendig sei, weil der Vordersatz nur die entfernte Ursache des Folgesatzes ist, der da wegen des nächsten Grundes zufällig ist. Aber auch das will nichts sagen. Denn ein Bedingungssatz wäre falsch, dessen Vordersatz die entfernte notwendige Ursache ist und der Folgesatz eine zufällige Wirkung; wie wenn ich z. B. sagen wollte: Wenn die Sonne sich bewegt, wird die Pflanze hervorsprossen. Und deshalb muß anders gesagt werden. Wenn nämlich im Vordersatze etwas ausgesprochen ist, was zur Thätigkeit der Seele gehört, so ist auch der Folgesatz aufzufassen, nicht wie selbiger an sich ist, sondern gemäß dem, daß er in der Seele ist. Etwas anderes ist nämlich das Sein der Sache an sich und das Sein der Sache in der Seele. Wenn ich z. B. sagen wollte: Wenn die Seele etwas versteht, so ist dies, was sie versteht, stofflos; so ist dies dahin aufzufassen, daß es stofflos sei, soweit es in der Vernunft ist, nicht nach dem Sein, das ihm außen innewohnt in sich selbst. Und ähnlich wenn ich sage: Wenn Gott etwas gewußt hat, so wird es sein; so ist dies dahin zu verstehen, daß der Folgesatz sein wird, wie und soweit es der göttlichen Wissenschaft unterliegt; nämlich soweit er in seiner Wirklichkeit vor der göttlichen Wissenschaft gegenwärtig ist. Und demgemäß ist er notwendig ebensogut wie der Vordersatz; denn jegliches was ist, das hat, während es thatsächlich besteht, es notwendig zu sein; wie in I. Perih. gesagt wird. Das Gegenteil würde heißen: Es ist und ist zugleich ist. III. Jene Dinge, welche gemäß der Zeitfolge ins thatsächliche Dasein treten, werden wohl von uns eines nach dem anderen verstanden; von Gott aber in der Ewigkeit, welche über aller Zeit steht, zugleich. Uns also, weil wir das in Zukunft Zufällige erkennen insoweit es dies ist nämlich in Zukunft, kann dies niemals gewiß sein; wohl aber kann es Gott gewiß sein, dessen Erkennen in der Ewigkeit ist. So sieht derjenige, welcher auf der Straße wandelt, nicht diejenigen, welche hinter ihm kommen. Jener aber, welcher von einer Anhöhe aus den ganzen Weg vor sich hat, sieht mit seinem Blicke gleichzeitig alle Vorüberwandelnden. Und deshalb muß das, was von uns mit Zuverlässigkeit gewußt wird, Notwendigkeit in sich einschließen auch soweit es an sich ist; wie z. B.: der Mensch ist ein sinnbegabtes vernünftiges Wesen. Denn was an sich sein kann oder nicht sein kann, also an sich zufällig ist, das können wir, sobald es in der Zukunft liegt, nicht wissen. Was aber von Gott gewußt wird, das muß notwendig sein gemäß der Weise wie es der göttlichen Wissenschaft unterliegt; nicht aber darf es dies immer an und für sich sein, insofern es von den nächsten Ursachen abhängt. Deshalb pflegt auch auf diesen Satz: Alles von Gott Gewußte ist notwendig, eine Unterscheidung angewandt zu werden. Denn entweder gilt dies vom sachlichen Inhalte; oder von der Behauptung, von der Aussage selber. Wenn es vom sachlichen Inhalte verstanden wird, so ist das Prädikat vom Subjekte zu trennen, der Satz ist (in sensu diviso) falsch; denn sein Sinn ist: Jedes Ding, welches von Gott gewußt wird, ist notwendig. Wenn der betreffende Satz aber von der Aussage allein verstanden wird, dann ist das Subjekt mit dem Prädikat zu verbinden; er ist dann wahr, und der Sinn ist folgender. Diese Aussage: was von Gott gewußt wird, ist notwendig; — diese Aussage ist notwendig; — notwendig nämlich, insoweit das von Gott Gewußte der Wissenschaft Gottes unterliegt, derselben also gegenwärtig ist. Doch einige wollen dies nicht annehmen. Sie sagen, eine solche Unterscheidung könne wohl gemacht werden bei Formen oder Eigenschaften, welche vom Subjekte trennbar sind; wie wenn ich sage: das Weiße (wie z. B. das Kleid) ist möglich schwarz zu sein, was wohl der Behauptung oder der Aussage nach falsch ist; denn was einmal ist, das ist notwendigerweise nicht sein Gegenteil; was weiß ist, das ist unmöglich zugleich schwarz. Dem wirklichen Sachverhalte nach aber ist es wahr. Denn die wirkliche Sache (z. B. das Kleid), welche weiß ist, kann auch schwarz sein; die Behauptung aber, das Schwarze sei weiß, ist niemals wahr. In Eigenschaften jedoch, welche vom Subjekte untrennbar sind, könne diese Unterscheidung nicht gemacht werden; wie wenn ich sage: der schwarze Rabe sei möglich weiß zu sein, weil dies dann nach beiden Seiten hin falsch wäre. Gewußt aber sein von Gott, das ist untrennbar von der gewußten Sache; denn was von Gott gewußt ist, das kann keineswegs etwas Nicht-Gewußtes sein. Dies würde mit Recht entgegengehalten werden können, wenn das, was ich als gewußt bezeichne, irgend eine Eigenschaft mit sich brächte, welche der Sache, dem Subjekte innewohnte, wie das Schwarze dem Raben. Das ist aber nicht der Fall. Das Gewußtsein besagt nur eine Thätigkeit des Wissenden; und so kann der gewußten Sache, obgleich dieselbe immer gewußt wird, etwas nach dem ihr eigenen Sein an und für sich beigelegt werden, was sie nicht hat, insoweit sie unter der Thätigkeit des Wissenden steht; wie z. B. das material ausgedehnte Sein in Zeit und Ort dem Steine an sich beigelegt wird; nicht aber insoweit er der Erkenntnis der Vernunft unter liegt und als allgemein bestimmende Erkenntnisform, als Idee, innerhalb der Vernunft ist.
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