Neunter Artikel. Gott hat auch Kenntnis dessen, was nicht ist.
a) Gott kann nur wissen, was Sein hat. Denn: I. Das Wissen hat zum Gegenstand nur das Wahre. „Wahr“ aber und „Sein“ ist dem Wirklichen nach ein und dasselbe. Also Gegenstand des göttlichen Wissens ist nur was Sein hat. II. Wissen beruht auf Ähnlichkeit zwischen dem Gegenstande und dem Wissenden. Nicht-Sein hat aber keine Ähnlichkeit mit Gott, der reines Sein ist. Was also nicht ist, kann nicht gewußt werden von Gott. III. Die Wissenschaft Gottes ist die Ursache des Gewußten. Das Nicht-Sein hat aber keine Ursache. AIso ist es nicht gewußt von Gott. Auf der anderen Seite sagt der Apostel (Röm. 4, 17.) von Gott: „Der da ruft, was nicht ist ebenso wie das, was ist.“
d) Ich antworte, daß Gott alles weiß, was auch immer ist und wie auch immer es sein mag. Nichts steht aber im Wege, daß alles jenes, was nicht einfach Sein hat, von dem also nicht ohne weiteres und ohne Umschweife ausgesagt werden kann: es ist; daß dies in irgend einer Weise sei. Es ist nämlich schlechthin alles jenes, was thatsächliches Sein hat. Was aber nicht thatsächliches Sein hat, das ist entweder in der Macht Gottes oder im Vermögen der Kreatur; — und dieses letztere ist entweder ein wirkendes, gebendes, oder ein leidendes, empfangendes; es ist ein Vermögen für irgend welche Meinung oder für künstlerisches Bilden oder um etwas irgendwie auszudrücken. Was auch immer also vermittelst der Kreatur zu etwas werden oder was gedacht oder ausgesprochen werden kann; oder auch was Gott selber thun kann, dieses alles erkennt Gott, wenn es auch thatsächlich kein Sein hat. Und demgemäß ist es richtig zu sagen, Gott habe ein Wissen auch von dem, was nicht ist. Nun ist aber bei allem diesem, was nicht ist, ein Unterschied zu bemerken. Manches nämlich ist wohl nicht thatsächlich, aber es ist gewesen oder es wird sein. Dieses alles aber erkennt Gott vermöge seines Wissens der Anschauung. Denn das Erkennen Gottes, das ja identisch ist mit seinem Sein, wird durch die Ewigkeit gemessen, die da, ohne Aufeinanderfolge in sich selbst bestehend, die ganze Zeit umfaßt. Folglich richtet sich der Blick Gottes als ein gegenwärtiger in alle Zeit ohne Ausnahme und in alles, was und zu welcher Zeit auch immer es ist, wie in etwas ihm Gegenwärtiges. Manches aber ist in der Macht Gottes oder im Vermögen der Kreatur, was niemals gewesen ist, noch jemals sein wird, und keinerlei thatsächliches Sein hat: und in dieser Beziehung erkennt Gott nicht vermittelst des Wissens der Anschauung, sondern des einfachen Verständnisses der simplicis intelligentiae. Und dies wird darum gesagt, weil dasjenige, was bei uns gesehen wird, ein vom Sehenden verschiedenes, getrenntes Sein hat. o) I. Inwiefern was nicht ist, sein kann, hat Wahrheit das, was keine Wirklichkeit hat. Denn es ist wahr, daß derartiges ein Vermögen hat, thatsächlich zu sein. II. Gott ist das Sein selber. Inwiefern also etwas ist, hat es Ähnlichkeit mit Gott, wie etwas insoweit warm ist als es an der Wärme Anteil hat. Und so ist Gott ähnlich, was das Vermögen hat, zu sein. III. Die Wissenschaft Gottes ist in Verbindung mit dem göttlichen Willen die Ursache der Dinge. Deshalb hat nicht fortwährend Wirklichsein alles, was Gott als Gegenwärtiges oder Zukünftiges weiß, sondenr nur, was und wie Er will, daß es sei. Und so ist es in der Wissenschaft Gottes, daß etwas sein kann.
