Vierzehntes Kapitel. Das Wissen Gottes. Überleitung.
Wir handeln jetzt von der Thätigkeit Gottes, nachdem das Nötige über seine Substanz gesagt worden ist. Und zwar wird zuerst von jenem Wirken gehandelt werden, welches im Wirkenden bleibt, also vom Wissen und vom Wollen. Darauf werden wir von jenem anderen Wirken sprechen, das zum Gegenstande die äußeren (geschaffenen) Dinge hat, also von der Macht Gottes, dem Princip dieser Art von Thätigkeit. Da aber das Wissen gewissermaßen Leben ist, wird nach dem göttlichen Wissen das Leben Gottes behandelt. Und weil das Wissen zum Gegenstande das Wahre hat, gilt es, auch von der Wahrheit und vom Falschen zu sprechen. Und endlich, da alles Erkennen im Erkennenden ist und die maßgebenden Seinsgründe der Dinge, insoweit sie in Gott sind, „Ideen“ heißen, so folgt unmittelbar auf die Untersuchung über das Wissen Gottes jene von den göttlichen Ideen. . (Anmerkung. Wir verweisen für alle eingehenden Erklärungen der Ausdrücke des heiligen Thomas und für die Anwendung seiner diesbezüglichen Lehre auf den Molinismus und die verschiedenen Arten des Pantheismus hier auf das Specialwerk: „Das Wissen Gottes“, welches bei G. J. Manz in vier Abteilungen vor kurzem erschienen ist.) Vorbemerkung „Wie Pfeile sind sie, in der Hand des Mächtigen; selig der Mann, der sein Verlangen anfüllt aus ihnen.“ (Ps. 126.) Wahrlich selig, wer da anfüllt das Verlangen seiner Natur, seiner unsterblichen Seele, mit jener Kraft allein, welche vom Allmächtigen stammt! Selig, wer in den Kreaturen, die Gott ihm zum Gebrauche gegeben, ebenso viele feurige Pfeile verehrt, welche die Liebe des Allmächtigen ihm sendet! Selig, wer die Trübsäle des Lebens, die Prüfungen auf der irdischen Pilgerfahrt, nicht mit Unmut annimmt und mit Unzufriedenheit trägt, sondern auch in ihnen hellleuchtende Pfeile sieht, die wunberbarerweise nicht allein ausgehen von der Hand des Allmächtigen, sondern auch wieder zu Ihm zurückleiten oder vielmehr, wie der Psalmist treffend andeutet, mit all ihrer Liebeskraft nur immer „in der Hand des Mächtigen“ bleiben; sind wir doch immerdar und leben wir in Gott! Die „Theologie“ will „Gott“ vor allem die Ehre geben. Thomas hat in den ersten zehn Kapiteln gezeigt, wie die Kreaturen erklären, was Gott nicht sei. Er hat im elften, zwölften und dreizehnten Kapitel dargethan, wie die Kreatur vermittelst der Vernunft alles verschiedenartige Sein einigen, zur Kenntnis Gottes benutzen und gemäß ihrer Kenntnis Gott preisen, also zu Gott zurückkehren kann. Jetzt fängt Thomas an zu zeigen, wie unergründliche Vollkommenheiten Gott besitzt, um nicht nur die allgemeine Substanz und die Vermögen dem Geschöpfe zu gewähren, sondern um auch selber unmittelbar die Vernunft und den freien Willen zu leiten, die Erkenntnis- und Willensakte in erster Linie zu wirken und vermittelst dessen all seine Kreatur zu Sich, zu seiner Liebe, zu seiner Verherrlichung heranzuziehen. Denn eben die Verherrlichung Gottes ist das Beste, das Ziel der Kreatur selber. Lange hat sich Thomas aufgehalten bei der Erklärung der Namen Gottes. Wie vielleicht in keiner Untersuchung hat er nach allen Seiten hin geprüft. Er konnte sich gleichsam gar nicht von dem wunderbaren Schauspiele trennen, daß hier aus der Tiefe, mitten vom Stoffe her, inmitten von allerlei Unvolllommenheiten und Mangel so mannigfach der Preis Gottes ertönt und zu Gott emporsteigt. Thomas gefiel sich darin, immer wieder zu betonen, daß gerade die Unvolllommenheit der Kreatur, ihr Mangel, ihr Nichts am lautesten die Herrlichkeit der alles spendenden Liebe Gottes mitten in der Vernunft verkünden. In Gott sind alle Vollkommenheiten dem Wesen nach, durchaus geeint und nichts ist am geschaffenen Sein vollkommen; nichts überhaupt ist in diesem, was nicht aus der Vollkommenheit Gottes flösse; und eben danach benennen wir Ihn. Ist die Kreatur? Das kommt rein von Gott. Lebt sie? Das ist nur der Fall kraft der Mitteilung von Gott. Wirkt sie? Erkennt sie? Will sie mit Freiheit? Nur das ist die Kreatur, nur das wirkt sie, nur das gehört ihr selbständig, was und soweit Gott es in ihr bewirkt durch seine Gegenwart. Das ist der Inhalt des letzten Kapitels und in tausend Wendüngen lehrt er immer von neuem wieder. Die Kreatur benennt Gott, nachdem sie ihre eigene Unvollkommenheit sich recht vergegenwärtigt und als den Ursprung aller ihrer Vorzüge Gott sieht. Es giebt kein Gesetz von seiten Gottes, welches als Hindernis der Freiheit des Geschöpfes gegenüberstände; sondern vielmehr „selig der Mann, den Du erziehst, o Herr, und den Du belehrst über Dein Gesetz.“ Es giebt kein freies Wirken, was im Einwirken Gottes ein Hindernis finden könnte; wohl aber singt der Psalmist: „Herr, im Lichte Deines Antlitzes werden sie wandeln; und in Deinem Namen werden sie frohlocken den ganzen Tag; und erhöht werden sie werden in Deiner Gerechtigkeit; — denn Dir gehört alle Ehre und aller Ruhmesglanz ihrer Kraft und in Deinem Ratschlüsse wird ihr Herz erhöht werden.“ Auf Grund des göttlichen Gesetzes gerade sowie eben auf Grund der barmherzigen Einwirkung Gottes in das Herz, wird dieses frei und weit: „Und beobachten werde ich Dein Gesetz ohne Unterbrechung und in Ewigkeit: Und ich werde dann mit Freude und Frohlocken wandeln auf weiter Flur, denn ich habe geforscht nach Deinen Geboten.“ Diesen Weg wandelt Thomas; und er führt ihn nicht, wie Manche fürchten, ins „dornenreiche Dickicht“, wo der Fuß sich in den Dornen der Widersprüche wundtritt und wo das Herz vertrocknet in der Dürre des Zweifels. Nein; dieser Weg führt ihn immer näher der allseitigen Fülle und immer näher deshalb zur Teilnahme an unermeßlichem Troste. Unsere Armut ist glorreich; wenn sie vor den Schöpfer tritt mit der Sehnsucht, bereichert zu werden. Unsere Not ist glanzvoll; wenn sie vor der Urvollkommenheit erscheint, um da zu schöpfen. Unser Nichts wird Sein, unser leeres Vermögen Vollendung, unser Tod Leben; wenn wir unsere Arme der ewigen Liebe entgegenstrecken. Deshalb sehen wir in den Psalmen so wunderbar gemischt die Schilderung der eigenen Hilflosigkeit mit demJubel über die Herrlichkeit Gottes. „Arm und elend bin ich; — der Herr hat mich aufgenommen.“ „Gott, mein Gott, blicke auf mich; — warum hast Du mich verlassen“ so beginnt es in Ps. 21. und: „Bei Dir sei mein Preis in der großen Versammlung der Heiligen: meine Wünsche werde ich offenbaren vor Deinem Antlitze. Die Armen werden essen und werden satt werden und den Herrn werden preisen, die Ihn suchen. Leben werden ihre Herzen in Ewigkeit. Dem Herrn gehört die Herrschaft, Er gebietet über die Voller;“ so heißt es am Ende, denn „meine Seele wird Ihn loben und meine Werke sollen Ihm dienen!“ Und so mischt sich in jedem Psalme das Rufen nach Hilfe mit der Freude an Gott; die Furcht und Flucht vor sich selber mit der heiligen Furcht vor Gott; die Armut der Erde mit dem Reichtum des Himmels. Sichtbar ist dieses Verhältnis hervorgetreten im Erlöser. Nicht so gerade seine leibliche Armut, nicht der Spott und Hohn, den Er erduldet, nicht seine Schmerzen haben uns erlöst; nein, sein Tod: nämlich die persönlich gewordene Hilflosigkeit der Kreatur. Und täglich tritt uns dies vor Augen im geheimnisvollsten Opfer, wo der Tod des Herrn den Mittelpunkt bildet. Täglich tritt uns die glorreiche Armut der Kreatur vor Gott entgegen in den Sakramenten, deren äußere Gestalten so niedrig sind und deren inneres Walten so ungemessen mächtig. Täglich hören wir es vieltausendfach entgegentönen, was der heilige Paulus schreibt: „Nicht daß wir fähig wären, etwas zu denken, als ob wir für uns allein dafür genügten; nein, all unser Genügen ist in Gott.“ „Wer unterscheidet dich, Mensch; wenn es nicht Gott ist.“ Gott muß in uns wirken, wenn und insoweit wir wirken sollen. Das ist die Ehre der vernünftigen Natur. „Es bewegt mich,“ so Augustin, „sagst du, daß jener zu Grunde geht und jener nicht; es bewegt, wie es nur immer einen Menschen bewegen kann. Willst du die Wahrheit wissen; auch mich bewegt dies, weil ich Mensch bin. Wenn du aber Mensch bist und ich bin Mensch; so höre: O Mensch; wer bist du, daß du mit Gott rechtest. Wenn das Tier sprechen könnte und sagen: Warum hast du aus mir ein Tier und aus jenem einen Menschen gemacht; würdest du nicht mit Recht zornig werden und rufen: O Tier, was willst du mit Gott rechten? Und du zwar bist ein Mensch, aber vor Gott hast du nicht mehr Recht wie ein Tier; o, daß du nur vor Ihm wie ein Tier wärest, ein Lamm seiner Weide.“ (De verb. Dom. sermo 11, cap. 4.) Hören wir nun, wie Thomas diese neue Art Vollkommenheiten Gottes schildert, welche Ihn in der Leitung und im Einwirken auf die Thätigkeit der vernünftigen Kreatur bestimmen; von welchen Gott uns mitteilt, damit wir Ihm darin ähnlich werden. Unsere Hoffnung und unser Vertrauen auf einen so unendlich vollkommenen Gott wird in uns vermehrt werden und wir werden fühlen, wie der Psalmist recht hat, der da sagt: „Wie Pfeile in der Hand des gewaltigen Gottes: Selig der Mann, der aus ihnen sein Verlangen anfüllt.“
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