Zehnter Artikel. Gott kennt die Übel.
a) Das scheint schon deshalb unrichtig zu sein; weil I. „eine Vernunft, welche niemals im Zustande des bloßen Vermögens oder Könnens ist,“ wie Aristoteles sagt (3. de anima),,nicht den, Mangel an Sein, also nicht das Vermögen, Sein zu besitzen und letzteres trotzdem thatsächlich nicht zu haben, erkennen kann.“ „Das Übel aber ist,“. nach Augustin. (Enchir. c. 11; III Confess. c. 7.), „ein Mangel an Gutem.“ Also da die göttliche Vernunft nie im Zustande des Vermögens, sondern ganz eine Thatsächlichkeit ist, erkennt sie die Übel nicht. , II., Jegliches Wissen ist entweder verursacht vom Gewußten oder es verursacht das Gewußte, also seinen Gegenstand. Das Übel aber ist weder die Ursache der göttlichen Wissenschaft noch von selbiger verursacht. Also ist es nicht von Gott gewußt. III. Was erkannt wird, das wird dies auf Grund seiner Ähnlichkeit oder auf Grund eines Gegensatzes, in welchem es sich befindet; wie z. B. das Schwarze auf Grund des Gegensatzes zum Weißen erkannt wird. Was Gott aber erkennt, das erkennt Er vermittelst seines Wesens. Nun ist das göttliche Wesen weder dem Übel ähnlich, noch steht es zu selbem im Gegensatze (vgl. „Wissen Gottes“ Bd. III. Kap. II.); „denn,“ sagt Augustin (12. de Civ. Dei, c. 2.), „zum göttlichen Wesen steht nichts im Gegensatze.“ Also kennt Gott die Übel nicht. IV. Was nicht kraft seiner selbst, sondern vermittelst von etwas anderem erkannt wird, ist unvollkommen gekannt. Das Übel nun wird nicht kraft des Übels von Gott erkannt, sonst wäre ein Übel in Ihm selber, da Er nur vermittelst Seiner selbst erkennt und das Gekannte zudem im Erkennenden sein muß. Wird es aber vermittelst eines anderen erkannt, nämlich vermittelst des Guten, dann ist die Kenntnis davon eine unvollkommene; dies aber kann auch nicht sein, da in Gott nichts Unvolllommenes besteht. Also kennt Gott das Übel nicht. Auf der anderen Seite heißt es in den Proverbien 16, 11. „Die Hölle und das Verderben ist vor Gott.“
d) Ich antworte, daß, wer etwas in ganz vollkommener Weise kennt, auch alles wissen muß, was dem Gegenstande seiner Kenntnis begegnen kann. Es giebt nun aber gewisse an sich gute Seinsarten, denen es begegnen kann, daß sie durch das Übel verdorben werden. Also würde Gott nicht in vollkommener Weise diese Seinsarten kennen, wenn er nicht ebenso das Übel erkännte. Jegliches aber wird erkannt, je nachdem es Sein hat. Nun besteht das Sein des Übels darin, daß es ein Entbehren des Guten ist. Also dadurch selber daß Gott das Gute erschöpfend erkennt, muß Er auch das Übel erkennen, gleichwie vermittelst des Lichtes die Finsternis erkannt wird. Daher sagt Dionysius: Gott schaut das Übel vermittelst Seiner selbst und nur vom Lichte aus sieht Er die Finsternis.
a) I. Die Stelle bei Aristoteles ist dahin zu verstehen, daß jene Vernunft, welche nicht im Zustande des Vermögens ist, den Mangel nicht erkennt vermittelst des Mangels, welcher in ihr sich vorfindet. Das ist nämlich in Übereinstimmung mit dem, was er gesagt hatte, daß der Punkt und jedes Unteilbare vermittelst des Mangels an Teilbarkeit oder Geteiltheit erkannt wird. Denn derartige Formen, die zugleich einfach sind und unteilbar, finden sich nicht, da sie eben nur im Vermögen etwas zu werden ihrem Wesen nach bestehen und von sich aus nichts Thatsächliches sind, da sie also nur einfach in ihrer Ohnmacht sind; sie finden sich natürlich auch nicht anders als dem Vermögen nach in der Vernunft vor. Denn wären sie thatsächlich in ihrer Vernunft, so würden sie nicht vermittelst des Mangels erkannt werden. Gott also erkennt nicht so das Übel vermittelst eines Vermögens, etwas Weiteres zu werden, also vermittelst eines Mangels an Sein, der in Ihm wäre; sondern durch das Gute, das dem Übel entgegensteht. II. Das Wissen Gottes ist nicht die Ursache des Übels; es ist die Ursache des Guten, wodurch die Kenntnis des Übels vermittelt wird. III. Das Übel ist nicht im Gegensatze zum Wesen Gottes; denn dieses ist dem Verderben nicht ausgesetzt. Es steht aber entgegen als Mangel dem Guten, was Gott verursacht; und dadurch, daß Gott das Gute, also seine Wirkungen erkennt, erkennt Er auch den Mangel, den Gegensatz zum Guten, die Übel. IV. Was an sich gar nicht erkennbar ist, das wird nicht unvollkommen erkannt, wenn es durch etwas Anderes erkannt wird. Das Übel ist aber an sich gar nicht erkennbar; denn sein Wesen ist es, Mangel an Gutem zu sein. Und somit kann es weder erkannt noch begrifflich bestimmt werden anders als durch das Gute.
