Sechzehnter Artikel. Spekulatives und praktisches Wissen ist in Gott.
a) Gott scheint über die Dinge kein spekulatives Wissen zu haben. Denn: I. Sein Wissen ist die Ursache der Dinge; was dem spekulativen Wissen nicht zukommt. II. Das spekulative Wissen vollzieht sich dadurch daß man die Ideen vom Stoffe und seinen Bedingungen loslöst; welche Wirksamkeit der göttlichen Vernunft gleichfalls nicht zukommt. Auf der anderen Seite muß alles, was erhabener ist, Gott zugeteilt werden. Das spekulative Wissen ist aber edler und erhabener wie das praktische (Metaph. in principio). Also ist es in Gott,
b) Es giebt eine Art Wissen, die nur spekulativ ist; und eine andere, die nur praktisch; und eine dlitte Art Wissen, was nach einer Beziehung hin als spekulativ, nach einer anderen aber als praktisch bezeichnet werden kann. Um das klarzustellen muß man erwägen, daß ein Wissen in dreifacher Weise spekulativ genannt werden kann: 1. Von seiten des erkannten Gegenstandes, wenn dieser vom Wissenden nicht gemacht werden kann, wie es z. B. mit dem Wissen der Menschen der Fall ist, welches zum Gegenstande hat die Natur oder die göttlichen Dinge;— 2. soweit es auf die Art und Weise des wissenschaftlichen Vorgehens ankommt; wie z. B. es beim Baumeister der Fall ist, wenn dieser bei sich die einzelnen Teile des Hauses, das Material dazu und dessen Dauerhaftigkeit u. dgl., Studiums halber prüft, die einen Elemente voneinander trennt, und, die anderen miteinander zusammensetzt; und wenn er dies alles einem das Ganze beherrschenden und allen Teilen gemeinsamen Plane unterordnet, ohne daß dabei die Absicht bestände, wirklich ein Haus zubauen. Denn das, was an und für sich gewirkt werden kann, in dieser Weise betrachten, heißt, es spekulativ erwägen und nicht insoweit es gewirkt werden kann; wirken nämlich heißt die Form dem Stoffe einprägen, also das an sich allgemeine zum einzelnen machen; nicht aber von den einzelnen Teilen zum Allgemeinen emporsteigen; — 3. mit Rücksicht auf den Zweck; denn der auf das Wirken gerichtete, also der praktische Verstand, ist von dem rein spekulativen durch den Zweck verschieden, sagt Aristoteles, da der erstere das Wirken, resp. das Gewirkte zum Zwecke hat, des letzteren Ziel aber die Betrachtung der Wahrheit ist. Wenn deshalb ein Baumeister erwägt, in welcher Weise ein Haus gemacht werden kann, ohne daß er jedoch den Bau eines wirklichen Hauses damit bezweckt, wenn er also den Gegenstand seines Wissens rein zu seinem Vergnügen betrachten will; so wird mit Rücksicht auf den Zweck diese Erwägung rein spekulativ sein und doch über einen Gegenstand sich verbreiten, der an und für sich ausführbar ist, und somit gewirkt werden kann. Jenes Wissen also, was spekulativ ist wegen des Gegenstandes selber, das ist nur spekulativ. Das Wissen aber, welches spekulativ ist gemäß der Art und Weise des Vorgehens oder gemäß der Zwecke, ist nach einer gewissen Seite hin spekulativ und nach einer anderen Seite hin praktisch. Wird es aber auf das Wirken als auf seinen Zweck bezogen, so ist es ohne alles weitere nichts als praktisches Wissen. Danach hat also Gott über Sich selbst nur ein spekulatives Wissen; denn Er kann nicht gewirkt werden. Über alles andere hat aber Gott sowohl ein spekulatives Wissen als auch ein praktisches. Dasselbe ist spekulativ, soweit es die Art und Weise des Vorgehens angeht: denn was wir spekulativ in den Dingen erkennen dadurch, daß wir zusammensetzen und trennen, binden und teilen und demgemäß vom Einzelnen zur Kenntnis des Allgemeinen gelangen; das alles erkennt Gott auf einmal und in wesentlicher Vollendung. Über jenes aber, was er wohl machen kann, niemals aber wirklich macht, hat Gott kein praktisches Wissen, insoweit dieses so genannt wird vom Zwecke, den es hat. Ein solches praktisches Wissen jedoch hat Gott über alles jenes, was Er in irgend welcher Zeit macht. Die Übel nur können allerdings in keiner Weise von Ihm verursacht werden, fallen jedoch unter sein praktischess Wissen ganz so, wie es beim Guten der Fall ist; insoweit Er nämlich die Übel erlaubt oder hindert, oder sie zum Guten zu wenden weiß. Ebenso fallen ja auch beispielsweise die Krankheiten unter das praktische Wissen des Arztes, inwieweit sie derselbe heilt.
c) I. Das Wissen Gottes ist die Ursache alles anderen, aber nicht seiner selbst. Und ein Teil der möglichen Dinge besteht thatsächlich zu irgend welcher Zeit; ein anderer Teil kann von Gott ausgehen, wird aber nie Wirklichkeit. II. Daß das Wissen von den geschaffenen Dingen her genommen wird, ist der spekulativen Wissenschaft nicht wesentlich; sondern ihr bloß eigen, insoweit sie eine menschliche ist. Zum Gegeneinwurf: Übe das, was gewirkt werden kann oder gewirkt ist, würde man eine vollkommen ausreichende Wissenschaft nicht haben, wenn man es nicht kannte, insoweit es dem Wirken zugänglich ist. Das Wissen Gottes aber ist allseitig vollkommen. Also hat Er nach dieser Seite hin ein praktisches Wissen und nicht bloß ein spekulatives. Er entfernt Sich aber damit nicht vom Adel der spekulativen Wissenschaft. Denn alles Andere sieht Er in Sich selbst. Er selbst aber ist Gegenstand spekulativen Wissens. Und so hält Er im spekulativen Wissen von Sich selbst eingeschlossen das spekulative und praktische Wissen rücksichtlich aller anderen Dinge.
