Zwölftes Kapitel. Die Art und Weise, Gott zu erkennen. Überleitung
„Alle Menschen sehen Ihn; ein Jeder schaut von ferne.“ (Job 36, 85.) Das ist der wahre zusammenfassende Ausdruck für die Art und Weise, in welcher der Mensch Gott zu erkennen vermag. In jeglichem Zustande kann er Ihn erkennen und immer erkennt er Ihn thatsächlich irgendwie; — aber ebenso muß er auch in jeglichem Zustande seiner Vernunft sehen, welch ungeheure Entfernung besteht zwischen ihm und Gott: „Er schaut von fern.“ Mit festem Schritte schreitet der engelgleiche Lehrer voran. Wie können wir, da bisher festgestellt worden, daß die ganze Kreatur vielmehr Gott nicht ist als irgendwie sein inneres Sein offenbart; wie können wir nun Gott uns nähern? „Denjenigen Kreaturen,“ schreibt Dionysius (de div. nom. c. 4.), „welche nicht ganz bis ans Ende ihrer Substanz unmittelbar von der göttlichen Güte durchdrungen sind, hat Gott vermittelnde Vermögen gegeben, daß sie Ihm näher kommen können.“ Thomas hat so treffend die Natur der Einheit im Geschaffenen beschrieben. Gerade solche Artikel, welche anscheinend vom Hauptgegenstande etwas abliegen, zeigen so recht, eine wie tiefe Auffassung dem engelhaften Lehrer eigen war. . Wofür ist am Ende die Einheit in jedem Geschöpfe die Grundlage? Für das Erkennen. Was ist Erkennen? Einheit zwischen dem Gegenstande und dem Erkennenden. Die Natur der Einheit in den Geschöpfen mußte genau dargelegt werden; sonst war ein Verständnis dafür, wie das Erkennen Gottes von seiten des Geschöpfes geschehe und welche Stufen es zulasse, nicht möglich. Die Einheit im Geschöpfe steht einerseits gegenüber der Einheit im Schöpfer; und andererseits steht sie gegenüber der Menge oder Vielheit. Sie ist etwas Unvollkommenes, Unfertiges, ein Mangel. Die Menge ist im Bereiche des Geschöpflichen das Positive, die Einheit das Negative oder Privative; so hebt Thomas öfter hervor. Und so muß die Einheit des Geschöpflichen beschaffen sein, soll sie anders die Grundlage für das Erkennen bilden. Schlösse die Einheit im Geschöpfe Vollendung in sich, wäre sie also an sich Wirklichsein, so würde ein Erkennen sich als unmöglich erweisen. Denn worin besteht gerade die innere Grundlage des Erkennenens im Geschöpfe? Darin daß der Gegenstand des Erkennens innerhalb des Vernunftvermögens ist und mit demselben eine Einheit bildet, wie das Licht mit dem Beleuchteten. Wäre aber im Gegenstande die Einheit ihrem Wesen nach etwas subjektiv Wirkliches, Vollendetes, so könnte der Gegenstand nicht in die Vernunft treten; er wäre unveränderlich. „Außer dem, was ich im subjektiven Sein bin,“ sagt Thomas (Kap. 14, Art. 1.), z. B. Mensch „bin ich vermittelst des Erkennens noch etwas anderes“, z. B. Stein; denn ich behandle den Stein ganz gemäß seiner Natur, wie wenn ich selber Stein wäre; die Substanz des Steines ist also gemäß der Erkenntnis in mir. Weder aber könnte ich als Erkennender zugleich etwas anderes sein, und somit eine andere Natur in mir tragen, noch könnte der Gegenstand in mir sein; wenn die beiderseitige Einheit in der inneren Vollendung, in der reinen Wirklichkeit bestände; da ja nur auf Grund der innigsten Einheit ein Thätigsein möglich sein kann. Ich könnte dann wohl nach außen hin wirken, aber nichts von außen her in mich aufnehmen. Die Einheit des Geschöpfes gründet sich, wie Thomas oben sagte, auf das Wesen. So weit das Wesen oder die Substanz des Dinges reicht, so weit erstreckt sich die Einheit. Dieses Wesen im Dinge aber ist allgemeines Vermögen. Es ist und bleibt innerhalb des Dinges immer im Zustande des Vermögens, der Potenz; immer an und für sich im Zustande des Unvollkommenen, der Bestimmbarkeit; — und deshalb ist auch die Einheit im Dinge etwas Unvollkommenes, weiter Bestimmbares und der bethätigenden Kraft Harrendes. Die Wirklichkeit des Dinges, seine thatsächliche Existenz besteht von diesem Wesen aus nur im Unterschiede vom anderen; im Nichtsein des anderen; darin, daß es nicht das andere ist; wie Thomas im Artikel 3 hervorhob: „Zuerst erkennt die Vernunft, daß etwas im allgemeinen ist; dann (das kommt gleich dahinter), daß es nicht das andere ist, also die Geteiltheit; dann, daß es ein einiges ist.“ Die Einheit im Geschöpfe, soweit sie ein wirkliches Einzelseinträgt, ist vom Wesen des Geschöpfes aus ein Nicht - das - Andere - Sein. Sie ist ein Zeugnis vom Geschöpfe aus, daß das Wesen desselben nicht aus sich selbst wirklich ist, müßte es ja doch in diesem Falle eine allgemeine allumfassende Wirklichkeit haben, da jede Wesenheit das Allgemeine unter seine eigensten Merkmale zählt. Das Wirklichsein ist vom Geschöpfe aus ein Nicht-Anderes-Sein, ein Nichtsein; und nur, soweit es auf den Schöpfer ankommt, ist es etwas Positives. So ist die Einheit als geschöpfliche Wirklichkeit, also als Einzelsein, ein Nichtsein; ein Mangel an Sein, nämlich ein Mangel an allem anderen Sein. Soweit es aber auf ihren inneren Grund im Geschöpfe ankommt, nämlich auf ihre innere Natur, so ist im Dinge das allgemeine Wesen nur ein Vermögen, Sein zu empfangen; aber nicht ein Vermögen, Sein zu geben. Dieses Vermögen bildet für alles geschöpfliche Erkennen die gemeinschaftliche Grundlage. Das Erkennen ist nicht Gleichheit zwischen zwei einander fremden Faktoren. Nein; das Vermögen im Erkenntnisgegenstande, welches die Einheit trägt, von welchem Thomas sagt, kraft seiner besteht die Einheit (unum essentiâ) ist als ein und dasselbe, als durchaus das nämliche innerhalb der Vernunft des Erkennenden. Der Unterschied zwischen dem Bestande desselben außen im Dinge und dem Bestande desselben innen in der Vernunft besteht nur darin, daß es außen verbunden ist mit der einzelnen Wirklichkeit der Existenz und kraft derselben „nicht das andere“, wie oben Thomas bemerkte, „verschieden oder geteilt vom anderen“ ist; innen aber in der Vernunft losgelöst sich findet von allen Elementen, welche es vom anderen trennen, also losgelöst von allem „Nichtsein. Danach gestalten sich die Stufen der Erkenntnis Gottes von seiten des Geschöpfes. Die natürliche Vernunft erkennt kraft des nämlichen Vermögens, welches im äußeren Dinge der unmittelbare, allgemeine Grund des Einzelbestandes, also der Grund davon ist, daß sich dieses äußere Ding vom Anderen unterscheidet, daß es das „nicht“ ist, was alles andere ist. Demnach hat die Vernunft, da ja ein vernünftiges Erkennen nur mittels des Grundes stattfindet, im natürlichen Bereiche zum unmittelbaren Gegenstande das einzelne Wirklichsein, d. h. das, was im Verhältnisse zum anderen geschöpflichen Sein „nicht“ das ist, was das andere ist. Kann somit dieses natürliche Erkennen zur Erkenntnis der inneren Natur des Schöpfers geleiten? Unmöglich; zuerst von seiten des schöpferischen Seins. Es müßte ja dann die Wesenheit, auf der das schöpferische Wirklichsein im Innern des Schöpfers ruht, für die thatsächliche vernünftige Erkenntnis irgendwie rein Vermögen werden, kraft deren Anwesenheit im Innern der Vernunft diese den Schöpfer erkannte. Das „wesentliche“ Vermögen, Mensch zu sein, giebt eben nur das einzelne Sein des Menschen, soweit nämlich es auf die Gattung ankommt; und ebenso ergiebt das „Wesen“, also das allen Steinen z. B. gemeinsame Vermögen, Stein der Gattung nach zu sein, nur das Sein des Steines als solchen. In Gott ist nun gar kein solches Vermögen, welches vom Wirklichsein verschieden wäre; Er ist das Wirklichsein. Das Wirklichsein an sich kann aber gar keine Gemeinsamkeit des Seins begründen, denn es kann nie anders oder in einem anderen Zustande sein, wie es ist; es schließt keinerlei Vermögen oder Fähigkeit in sich ein. Es ist Wesentlich ein einiges. Also kann es gar nicht im Bereiche der Natur von geschöpflichen Vermögen erkannt werden. Dasselbe ergiebt sich aus der Betrachtung der geschöpflichen Wirklichkeit. Diese ist im Verhältnisse zu allem anderen Geschöpflichen nur dadurch daß sie nicht das andere ist; also besteht diese Wirklichkeit im Verhältnisse zum Schöpfer nur darin, daß sie nicht das schöpferische Sein ist. Nur dies also ergiebt sich aus dem geschöpflichen Erkennen, soweit auch immer dies sich erstreckt. Daß ein Schöpfer ist, wird erkannt; denn das geschöpfliche Wesen sagt: nicht aus mir kommt die Wirklichkeit, ich habe nur Vermögen dafür. Aber wie das Sein des Schöpfers dem Wesen nach ist, das wird nicht erkannt; denn dasselbe geschöpfiiche Wesen sagt im Innern der Vernunft; so wie ich, ist der Schöpfer nicht. Nur Vermögen ist da vorhanden; während der schließliche wirkende Grund alles Seins nur reine Wirklichkeit sein kann und nicht das mindeste Vermögen etwas zu werden, in sich einschließen darf. Nur was der Schöpfer wesentlich nicht ist, erreicht in den natürlichen Grenzen die vernünftige Erkenntnis. So weist die dem Geschöpflichen zu Grunde liegende Einheit von sich ab irgend welche innere Wesensgemeinschaft mit der rein wirkenden Einheit; denn sie, die erstere, ist nur Vermögen. Im selben Grade aber thut sie dar die Existenz dieser schöpferischen Einheit, ohne welche sie selbst als bloßes Vermögen nicht sein könnte. Hier gilt das Wort der Schrift: „Was höher ist als du; danach forsche nicht“ (Ekkli. 3.); und: „Das Auge hat nicht gesehen, das Ohr hat nicht gehört, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben“ (1. Kor. 3.) und wiederum: „Gnade Gottes ist das ewige Leben.“ Aber aus der Art und Weise dieses natürlichen Erkennens geht auch andererseits wie von selbst hervor, daß, wo Gott als die souveräne wirkende Ursache dies will, auch die menschliche Vernunft dazu kommen kann, „Gott selber zu schauen, wie Er ist.“ Denn das innere Wesen der Erkenntnis ist Vermögen für die thatsächliche Erkenntniseinheit, Fähigkeit für den wirklichen Erkenntnisakt. Woher aber ist verursacht dieses Vermögen? Von jener erstwirkenden Ursache, welche durch und durch thatsächlichen Erkenntnisakt ist. In ihrer Hand ist Vermögen alles Geschöpfliche, sowohl die erkennende Vernunft wie der natürliche erkannte Gegenstand. Die geschöpfliche Wirklichkeit besteht nur immer im Nichtsein, im Nicht-das-Andere-Sein. Also kann auch diese selbe rein wirkende Ursache die Vernunft so weit fähig machen, wie sie will. Denn diese Ursache ist rein Vernunft, rein wirkliches thatsächliches Erkennen dem Wesen nach im Verhältnisse zum Erkennen des Geschöpfes, dessen Wesen nur immer Vermögen ist. Sie kann nicht machen, daß die geschöpfliche Vernunft im Bereich des Natürlichen Gottes Wesen schaut; denn dazu müßte letzteres ein reinees Vermögen sein. Sie kann demnach auch nicht machen, daß sie, die schöpferische Natur, wirklich innerhalb der Vernunft die bethätigende und maßgebende Form für das wirkliche Erkennen, die species intelligibilis sei in der Weise, wie eine solche Form etwa das Wesen „Mensch“ ist. Wohl aber kann sie die Kraft der menschlichen Vernunft soweit stärken und erheben, daß diese fähig wird, zum Gegenstande ihres Erkennens die göttliche innere Natur die eine Wirklichkeit zu haben. Deshalb ist zu solchem Erkennen notwendig 1. die Vorbereitung der geschöpflichen Vernunft; und diese geschieht durch „das Gewand der Herrlichkeit“, stolam gloriae induet eum; 2. ist notwendig die göttliche Natur als Gegenstand der Erkenntnis und zwar die göttliche Natur als solche ohne Vermittlung durch irgend welche Form; und 3. das Verlangen danach im Willen, welches einerseits auf keinerlei geschaffenes beschränktes Gut sich richtet, andererseits aber nur das ewige Gut erstrebt. Und dieses letztere, dieses Verlangen, beginnt hier auf Erden die Vorbereitung für die Herrlichkeit der seligen Anschauung. In ihm, in der „Liebe, welche vom heiligen Geiste ausgegossen wird in die Herzen“, reinigt sich die Vernunft durch den Glauben bereits hier auf Erden und lebt nicht mehr in und von den beschränkten Gütern, sondern hält bereits fest an der Hoffnung auf das allein wesentliche, wirkliche ewige Gut. Dieses Verlangen bleibt im Himmel; wie der heilige Gregor der Große das so schön sagt in der Erklärung der Worte Petri (I. Petr. I.): „Die Engel sehnen sich, das Antlitz Gottes zu schauen und doch schauen sie es bereits thatsächlich, wie der Herr sagt: Ihre Engel schauet immer das Antlitz meines Vaters. Denn dieses Verlangen ist von keiner Mühe und Arbeit begleitet; es ist beständig gesättigt; und sie sind gesättigt ohne Ekel, denn die Sättigung selber wird durch das Verlangen immer wieder von neuem entzündet.“ (18. moralI. 18.) „So sehen alle Menschen Gott; und doch sieht ein jeder, auf allen verschiedenen Stufen von ferne.“ In der natürlichen Erkenntnis erkennt die Vernunft auf Grund des Vermögens der natürlichen Substanzen, daß Gott ist und wirkt; — aber fern von ihr ist das Wesen Gottes. Im Glauben erkennt die Vernunft auf Grund der göttlichen Wahrheit ohne weitere Vermittlung, wie Gott seiner Natur nach getrennt sein muß von allem Wesen des Geschöpflichen und wie das letztere insgesamt im innersten Wesen auch, und nicht nur im Wirklichsein von sich allein aus nichts ist und ohne jegliche Kraft dasteht. Aber fern ist das deutliche „Erscheinen der herrlichkeit Gottes, um die ganze Seele zu sättigen“. (Ps. 16, 13.) Gott wirkt da wohl selber in der Seele; aber dieses Einwirken geht in erster Linie auf das Verlangen des Willens, welches vom Vergänglichen abgewendet allein auf Gott, „wie Er ist,“ sich richtet. Auf dem Willen fußt der Glaube. In der Herrlichkeit schaut die Vernunft mit aller Klarheit, vorbereitet, erhoben und gestärkt durch das Licht der Herrlichkeit, das Wesen selber ohne alle Vermittlung einer Idee oder etwas Ähnlichem von seiten Gottes; sie schaut dasselbe so „wie es ist“ (I. Joh. 3.), „ohne Spiegel und ohne Hülle irgend welchen Rätsels, sondern von Angesicht zu Angesicht.“ l. Kor. 13.) Und doch schaut auch da noch ein Jeder von ferne, denn da wird es erst über alle Maßen der Vernunft klar, wie fern sie von sich aus Gott ist, wie weit der Abgrund sich aufthut zwischen dem Nichts und dem reinsten Sein. Eins ist sie mit Gott in der Herrlichkeit; aber die Kraft in dieser Vereinigung kommt — das erscheint da ganz klar — allein vom göttlichen Wesen, sowohl was das bis ins Unendliche erhobene Können der Kreatur anbelangt, als auch was die wirkliche Vereinigung betrifft. Das wird jetzt Thomas mit unvergleichlicher Schärfe und Tiefe darlegen.