Zweiter Artikel. Gott versteht sich selber.
a) Gegen diese Behauptung spricht zuvörderst eine Stelle aus dem lib. de causis: I. „Jeder Wissende, der da weiß sein Wesen, kehrt in vollständiger Rücklehr zurück zu seinem Wesen.“ Gott aber geht aus seinem Wesen gar nicht heraus. Also kann Er auch nicht dahin zurückkehren. Und so kommt es Ihm nicht zu, sein Wesen zu wissen. II. „Verstehen ist eine Art Empfangen oder Leiden und Bewegtwerden,“ heißt es bei Aristoteles (de anim. lib. 3.); die Wissenschaft zudem ist ein Ähnlichwerden mit dem Gewußten und das Gewußte ist die Vollendung des Wissenden. Nichts aber wird bewegt oder empfängt oder wird vollendet von sich selber; und wie Hilarius (III. de Trin.) sagt, „ist nichts sich selber ähnlich.“ Also ist keine Wissenschaft von sich selber in Gott. III. Wir sind Gott am meisten ähnlich gemäß der Vernunft, wie Augustin erklärt (15. de Trin.c. 1.; 6. super Gen. ad litt. c. 12.); „der Geist trägt das Bild Gottes.“ Unsere Vernunft aber erkennt sich nicht selber außer vermittelst und im Maßstabe dessen, daß sie Anderes erkennt. Also Gott erkennt sich nicht, außer etwa dadurch, daß Er anderes erkennt. Auf der anderen Seite heißt es 1. Kor. 2, 11.: „Was Gottes ist, weiß niemand als der Geist Gottes.“
b) Ich antworte, Gott erkennt Sich durch Sich selbst. Um das zu veranschaulichen, muß erwogen werden, daß bei jener Thätigkeit wohl, die sich nach außen richtet, also außen ihren Zweck und ihr nächstes Ziel findet, der Gegenstand auch außen besteht, wie z. B. der Gegenstand der Thätigkeit des Schreiners der außerhalb des Arbeitenden befindliche Stuhl ist; bei allem Wirken aber, welches sich innerhalb des Wirkenden oder Handelnden vollzieht, ist der Gegenstand der einzelnen Wirksamkeit auch innerhalb dessen, der da thätig ist und in demselben Maße ist ein eigentliches Wirken oder Thätigsein vorhanden, in welchem der Gegenstand innerhalb des wirkenden Seins sich vorfindet. Deshalb hat Aristoteles recht, zu sagen, das thatsächlich von den Sinnen Wahrgenommene sei der Sinn selber, insoweit dieser thatsächlich wahrnimmt; und ebenso sei das vernünftig Erkannte die Erkennende Vernunft selber. Denn aus keinem anderen Grunde erkennen wir sei es mit den Sinnen sei es mit der Vernunft, als weil das geistige oder sinnliche Bild die Vernunft oder den Sinn innerlich bethätigt. Nur in dem Sinne also ist das sinnliche oder geistige Erkennen verschieden vom erkennbaren Gegenstande, als auf der einen Seite das erkennende Vermögen und auf der anderen das Sein des erkannten Gegenstandes weiterer Entwicklung fähig, d. h. in potentia ist. Gott aber ist keinerlei Entwicklung zugänglich, in Ihm ist kein Schatten von Potentialität; also muß in Ihm das Erkannte und das Erkennende nach allen Richtungen hin ein und dasselbe sein. Das geht nämlich soweit, daß Gott 1. niemals ohne die bethätigende, eine bestimmte Form gebende Idee sein kann, wie dies bei unserer Vernunft der Fall ist, wenn sie z. B. im Schlafe nur verstehen kann, thatsächlich aber nicht versteht; 2. daß bei Ihm diese Idee nicht im geringsten verschieden ist von der Substanz seiner Vernunft, wie dies von uns gilt, sobald wir thatsächlich verstehen; daß 3. die bethätigende Idee das substantielle Sein der erkennenden Vernunft durchaus selber ist; das Gott also auf diese Weise Sich ganz und gar und einzig und allein durch Sich selber erkennt.
c) I. Zurückkehren zu seinem inneren Wesen will nichts anderes besagen als daß die Sache nicht in etwas anderem ihr Fremden, wie z. B. im Stoffe, sondern kraft ihres eigenen Wesens für sich selbständig bestehe. Denn es breitet sich die Wesensform, wie z. B. die Menschnatur, über den Stoff gleichsam aus, wenn sie demselben das bestimmte Sein verleiht und ihn dadurch vollendet. Insofern aber diese Form in sich selber Sein besitzt, kehrt sie zu sich zurück. Die sinnlichen Fähigkeiten also, die da nur kraft eines stofflichen Organs thätig sind und ihrem innersten Wesen nach dieses betreffende Organ erfordern, erkennen sich nicht selbst; wie das aus der Betrachtung der einzelnen Sinne sich ergiebt. Die vernünftigen Fähigkeiten haben jedoch eigenes, selbständiges Sein und erkennen deshalb sich selbst. Deshalb wird somit im genannten Buche gesagt „wer sein Wesen kennt, kehrt zu seinem Wesen zurück.“ Fürsichbestehen aber kommt im höchsten Grade Gott zu. Er also ist, um diese Redeweise zu gebrauchen, im höchsten Grade „zurückkehrend zu seinem Wesen,“ indem Er Sich selbst durch und durch erkennt. II. Empfangen oder leiden und bewegt werden unter einer bethätigenden Ursache hat, wenn es vom vernünftigen Verstehen ausgesagt wird, nicht dieselbe Bedeutung, als wenn es vom Stofflichen gilt. Denn Verstehen oder Einsehen ist an und für sich nicht die Thätigkeit des an sich Unvollkommenen, was von außen her maßgebend bestimmt wird; sondern die des Vollkommenen, das in seiner Thätigkeit in sich bleibt. Daß aber die Vernunft vollendet wird vom Wissenswerten und selbem ähnlich wird, das kommt jener Vernunft zu, die ihrer Seinsweise nach bisweilen nur im Zustande des reinen Vermögens ist und demnach bisweilen nur verstehen kann; die sonach nicht die Thätigkeit des Verstehens von Natur zugleich mit diesem Können hat. Denn nicht als thatsächlich verstehende Vernunft ist sie vom Gegenstande, vom Wissenswerten, verschieden; sondern weil sie an sich nur vermögend ist, zu verstehen und erst durch die bestimmende innere Erkenntnisform, durch die Idee, dem Gegenstande ähnlich werden muß. Diese letztere ist eben die Ähnlichkeit mit dem Wissenswerten und vollendet das Vermögen in der nämlichen Weise, wie die bestimmende Wesensform im Vermögen außen im Dinge dieses vollendet. Die göttliche Vernunft aber ist nimmermehr im Zustande des Vermögens; und so wird sie durch den Gegenstand des Wissens nicht vollendet und nicht ihm ähnlich gemacht; sondern sie ist ihre eigene Vollendung und ihr Verstehen oder Wissen selber. III. Unser Vernunftvermögen hat von Natur keine einzelne bestimmte Erkenntnisfähgkeit, sondern ist vielmehr reines Vermögen im Bereiche des Erkennens; etwa wie der Urstoff an sich nur Vermögen hat für irgend ein bestimmtes Sein im Bereiche der Natur und erst vermittelst der Wesensform thatsächliches Sein erhält. Die menschliche Vernunft kann deshalb nur demgemäß vernünftig thätig sein als sie bestimmt und bethätigt wird durch die Erkenntnisform oder durch die Idee eines Dinges. Und in dieser Weise versteht sie sich selber sowie sie Anderes versteht. Denn offenbar erkennt sie ihr eigenes Verstehen dadurch, daß sie das Wissenswerte versteht und sie erkennt so vermittelst der Thätigkeit ihr eigenes Vermögen. Gott aber ist nicht wie ein Vermögen im Bereiche des Seins oder im Bereiche des Erkennens; sondern wie reinste Thätigkeit. Also erkennt Er durch keine Ihm fremde Erkenntnisfonn und gemäß keiner; sondern Er versteht Sich selber durch Sich selber.
