Erster Artikel. In Gott ist Wissenschaft.
a) Das scheint nicht der Fall zu sein, da I. Wissenschaft ein Zustand ist, der in der Mitte sieht zwischen dem reinen Vermögen der Vernunft, wie ein solches auch im kleinen Kinde ist, und zwischen dem Akte des Wissens, wonach jemand seine in ihm bestehende Wissenschaft lebendig macht. Ein solcher Zustand aber kommt Gott nicht zu. AIso ist in Ihm keine Wissenschaft. II. Ferner: Was verursacht ist, findet sich nicht in Gott. Was aber den Gegenstand der Wissenschaft bildet, ist verursacht; denn es sind dies die durch regelrechte Schlußfolge aus den allgemeinen Pnncipien geschöpften Wahrheiten. Also ist Wissenschaft nicht in Gott. III. Jede Wissenschaft erstreckt sich auf das Allgemeine ode auf das Besondere. In Gott aber ist weder ein Allgemeines noch ein Besonderes. (Kap. 3, Art. 5.) Also ist in Ihm keine Wissenschaft. Auf der anderen Seite sagt der Apostel (Röm. 11.): „O Erhabenheit der Reichtümer der Weisheit und Wissenschaft Gottes.“
b) Ich antworte, Gott besitzt das Wissen in seiner höchsten Vollendung. Um davon sich klar zu überzeugen, ist zu erwägen, daß die Wesen, welche etwas zu erkennen vermögen, von den anderen, denen das nicht möglich ist, in folgendem Punkte sich unterscheiden. Die letzteren nämlich haben nur ihre eigene Substanz, während das erkenntnisfähige Wesen dazu berufen ist, auch die Substanz eines anderen Dinges in sich zu haben, denn die Substanz oder Natur des Erkannten ist im Erkennenden. Daraus geht hervor, daß die Natur jener Wesen, welche aller Erkenntnis bar sind, mehr eingeschränkt oder beengt ist; die Natur der erkenntnisfähigen Wesen aber eine größere Weite hat und sich auf vieles richtet; weshalb Aristoteles sagt, die Seele sei gewissermaßen alles. Nun liegt aber der Grund des Beschränktseins der Substanz im Stoffe. Deshalb hatten wir schon früher gesagt, daß die Substanzen sich insoweit den Grenzen oder Schranken entziehen und der Unendlichkeit nahekommen, inwieweit sie vom Stoffe losgelöst sind. Demnach ist im allgemeinen die Losgelöstheit vom Stoffe für ein Ding der maßgebende Grund von dessen Erkenntnisfähigkeit und nach dem Grade solcher Stofflosigkeit richtet sich der Grad der Erkenntnisfühigkeit. So sind z. B. die Pflanzen gar nicht des Erkennens fähig, weil sie ganz an den Stoff gebunden sind. Der Sinn aber kann etwas erkennen, weil er Bilder der äußeren Dinge ohne deren subjektiven Stoff in sich aufzunehmen vermag; und die Vernunft kann dies in noch höherem Grade, weil sie in höherem Grade vom Stoffe getrennt und völlig ihrer Natur nach unvermischt ist. Gott aber ist im schlechthin höchsten Grade stofflos und deshalb steht Er auch auf der schlechthin höchsten Stufe des Wissens.
c) I. Die Vollkommenheiten, welche von Gott in die Kreaturen ausfließen, sind in unendlich höherer Weise in Gottes Sein. (Kap. 6, Art. 4.) Also muß bei jedem Namen, der von einem geschöpflichen Vorzuge hergenommen wird, um Gott beigelegt zu werden, die unvollkommene Seinsweise entfernt werden, welche dieser Vorzug in den Kreaturen besitzt. Und demnach ist die Wissenschaft in Gott keine zum Wesen hinzutretende Eigenschaft oder ein dementsprechender Zustand, sondern sie ist Substanz und reinste Thatsachlichkeit. II. Vorzüge, welche in den Kreaturen als vielfache und voneinander getrennte existieren, sind in Gott Einheit und Einfachheit. Der Mensch hat nun unter verschiedenen Gesichtspunkten verschiedenartige Kenntnisse. Denn soweit er die allgemeinen Principien auffaßt, hat er „Verständnis“. Soweit es die durch Schlußfolge aus den Principien hervorgehenden, zuverlässsig gekannten Sätze anbelangt, hat der Mensch „Wissenschaft“. „Weisheit“ wird es genannt, wenn er seine Kenntnisse auf die höchste Ursache in dem betreffenden Seinskreise zurückführen kann; und Klugheit oder Gabe des Rats, soweit er sein eigenes Wirken zweckgemäß einzurichten vermag. Diese verschiedenartigen Kenntnisse sind aber insgesamt in Gott einfachste Einheit, wie dies in Artikel 7 erklärt werden wird. Also kann das eine und einfache Wissen Gottes mit allen diesen Namen bezeichnet werden; so freilich, daß von allen diesen Namen, sollen sie anders von Gott gelten, entfernt werde, was Unvollkommenes in ihrer Bezeichnung sie begleitet; und beibehalten werde, was Vollkommenes sie ausdrücken. Demgemäß heißt es bei Job (12, 13.): „Bei Ihm ist Weisheit und Stärke, und Er hat Rat und Verständnis.“ II. Das Gewußte ist im Wissenden gemäß der Seinsweise des Wissenden. Und da sonach die Seinsweise der göttlichen Wissenschaft höher ist wie die der Kreatur; deshalb richtet sich die Aussage, die über Gott gemacht wird, rücksichtlich der Wissenschaft nicht nach der Weise der kreatürlichen Wissenschaft und ist demnach weder eine allgemeine noch eine besondere, weder Zustand noch Vermögen noch ähnliches dergleichen.
