LXXXI. (Mauriner-Ausgabe Nr. 277) An Maximus, einen Studenten
S. 319 Inhalt: Basilius, voll Interesse und Liebe für den Adressaten, der, von vornehmer Herkunft, zum Christentum übergetreten war, bittet ihn, alle zeitlichen Güter hinter das eine ewige Gut zurücktreten zu lassen. - Abgefaßt ist das Schreiben in den letzten Jahren seines Lebens.
Mich machte der gute und vortreffliche Theoteknus mit den persönlichen Verhältnissen Deiner Durchlaucht bekannt und weckte in mir das Verlangen, mit Dir zusammenzukommen; so anziehend wußte er Deinen Charakter zu zeichnen. Eine solche Liebe zu Dir entfachte er in mir, daß nichts mich abhalten könnte, Dich zu besuchen, wenn ich nicht unter der Last des Alters seufzte, durch die mit mir aufgewachsene Krankheit festgehalten und durch tausend Sorgen für die Kirche gefesselt wäre. Fürwahr, es ist in der Tat kein kleiner Gewinn, wenn man aus einem vornehmen Hause und berühmten Geschlechte zum evangelischen Leben übertritt, die Jugend durch die Vernunft zügelt, die sinnlichen Affekte der Vernunft dienstbar macht, sich der Demut befleißigt, die einem Christen ansteht, der, wie billig, sich Rechenschaft gibt über sein ‘woher’ und ‘wohin’. Die Betrachtung unserer Natur hält den Übermut der Seele nieder, verbannt allen Stolz und alle Selbstgefälligkeit, und macht überhaupt zum Jünger des Herrn, der da spricht: „Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen1!” In der Tat, mein liebster Sohn, nur eines ist wünschenswert und löblich: das bleibende Gut. Das aber besteht im Ansehen vor Gott. Die menschlichen Dinge aber sind flüchtiger als der Schatten, trügerischer als Träume. Denn die Jugend vergeht rascher als die Frühlingsblumen; und die körperliche Schönheit fällt einer Krankheit zum Opfer oder findet in dem Schlund S. 320 der Zeit ihr Grab. Der Reichtum ist nicht verlässig, der Ruhm ganz unbeständig. Auch die Bemühungen um die Künste sind auf diese Zeit beschränkt. Selbst die Beredsamkeit, das allgemein erstrebte Gut, findet Gnade nur bis ans Ohr. In der Tugendübung aber besitzt man ein wertvolles Gut und läßt man die Umwelt das wonnigste Schauspiel schauen. Wenn Du Dich um diese bewirbst, so wirst Du Dich der Güter würdig machen, die der Herr verheißen hat.
Auf welche Weise Du aber zum Besitze der Güter gelangen und wie Du die erworbenen bewahren kannst, das zu sagen ginge über den Rahmen dieses Briefes hinaus. Gleichwohl entschloß ich mich, Dir das mitzuteilen auf Grund dessen, was ich vom Bruder Theoteknus gehört habe. Ich will ja haben, daß er allezeit die Wahrheit rede, besonders dann, wenn er von Dir spricht, damit durch Dich der Herr noch mehr verherrlicht werde, der Du aus einer fremden Wurzel mit den kostbarsten Früchten der Frömmigkeit überdeckt bist.
Mt 11,29 ↩
