XCVII. (Mauriner-Ausgabe Nr. 345) Libanius an Basilius
Inhalt: Libanius schreibt dem Basilius, erinnernd an Freud und Leid, das er von letzterem erfahren, an Leid, weil Basilius ihn dereinst nicht in die homerische Begeisterung hat einführen wollen.
Daß ich mich nicht schon längst daran machte, Dir zu schreiben, dafür, glaube ich, bedarf ich eher einer Rechtfertigung als jetzt einer Entschuldigung, daß ich damit beginne. Ich bin doch der, welcher herbeieilte, so oft Du Dich zeigtest, und überglücklich dem Strome Deiner Worte sein Ohr lieh, der sich freute, wenn Du sprachst, und nur mit Mühe sich losreißen konnte, um zu seinen Freunden zu sagen: „Dieser Mann ist viel trefflicher als des Achelous Tochter1, insofern er auch wie S. 339 jene durch seine Stimme bezaubert, aber nicht schadet wie jene. Ja, es ist ihm zu wenig, nur nicht zu schaden; seine Gesänge sind vielmehr ein Gewinn für die Zuhörer.” Da ich nun diese Ansicht habe und glaube, daß ich geliebt werde, und auch glaube sprechen zu können, so verriete es die größte Trägheit und zugleich auch einen Menschen, der sich selbst schädigen wollte, wenn ich nicht zu schreiben wagte. Es ist ja klar, daß Du meinen kurzen und minderwertigen Brief mit einem schönen und langen belohnen und Dich wohl hüten wirst, mich ein zweites Mal zu kränken. Ich glaube, viele werden bei diesem Worte ausrufen, bei der Sache sich aufhalten und sagen: „Hat Basilius auch nur das geringste Unrecht getan, dann natürlich auch Äakus, Minos und sein Bruder2.” Ich gestehe Dir übrigens gerne zu, daß Du gesiegt hast. Wer hätte Dich gesehen, ohne Dich zu beneiden? Gleichwohl hast Du Dich in einer Sache wider uns versündigt, und wenn ich Dich daran erinnere, so berede die Unwirschen, daß sie kein Geschrei machen. Niemand hat sich an Dich gewandt und Dich um eine leicht zu gewährende Gefälligkeit gebeten, um dann unbefriedigt von dannen zu gehen. Ich aber gehöre zu denen, die um eine Gefälligkeit gebeten haben, ohne erhört worden zu sein. Worum habe ich denn gebeten? Ich kam oft mit Dir im Strategeion3 zusammen und wünschte mittelst Deiner Weisheit in die Tiefe homerischer Begeisterung einzudringen. Wenn das nicht möglich ist, sagte ich, so führ uns doch wenigstens in einen Teil des Erbes ein! Ich wünschte aber den Teil, in dem Agamemnon damals, als es den Griechen nicht gut ging, den mit Geschenken zu besänftigen suchte, den er beleidigt hatte. Als ich das sagte, lachtest Du. Du konntest es zwar nicht leugnen, daß Du es bei gutem Willen könntest, aber Du wolltest uns den Gefallen nicht tun. Bin ich also nicht der Gekränkte in Deinen und derjenigen Augen, die darüber aufgebracht sind, daß ich sagte, Du hättest Unrecht getan?
