I. (Mauriner-Ausgabe Nr. 1) An den Philosophen Eustathius1
S. 9 Inhalt: Der noch nicht zum Priester geweihte Basilius fingiert in diesem Schreiben das Bedauern, daß es trotz all seiner Bemühungen ihm noch nicht gelungen wäre, den großen Philosophen kennen zu lernen und zu hören — schuld immer neuer Zwischenfälle, die er scheinbar als Fügungen blinden Fatums verwünschen möchte. Indes ein Schreiben des Philosophen hätte ihn beruhigt und ihn eines Bessern belehrt. In seiner Ironie begegnet Basilius dem Zufallsglauben und empfiehlt dafür den Vorsehungsglauben. — Geschrieben ist der Brief von Alexandrien aus ca. 357.
Schon wollte ich an mir verzweifeln in Anbetracht der Tücken, die mir das sog. Fatum bereitete, das sich immer wieder einem Zusammentreffen mit Dir hindernd in den Weg stellte, da hat ein Brief von Dir mich geradezu auffallend erquickt und getröstet. Denn in etwa erwog auch schon ich bei mir hin und her, ob nicht doch schließlich wahr wäre das allgemeine Gerede, daß es eine gewisse Notwendigkeit gebe und ein Schicksal, das unsere unwichtigen und wichtigeren Angelegenheiten regelt, und daß wir Menschen über nichts eigener Herr seien, oder, sollte dem nicht so sein, ein Fatum das menschliche Leben überhaupt bestimme. Für diese Gedanken wirst Du volles Verständnis haben, wenn Du die Gründe erfährst, die mich daraufführten.
S. 10 Auf den Ruf hin, der von Deiner Philosophie ausging, kehrte ich Athen den Rücken und sah über alles weg, was sich dort bot2. An der Stadt am Hellespont3 eilte ich vorüber wie schneller kein Odysseus beim Gesange der Sirenen4. Asien5 entzückte mich; aber es trieb mich in die Metropole all seiner Schönheit6. Als ich aber meine Heimat erreicht hatte und in ihr Dich, mein hohes Gut, nicht finden konnte trotz allen Suchens, da stellte sich mir hier wieder eine Menge neuer unerwarteter Verhinderungsgründe in den Weg. Erst mußte ich ganz krank sein und deshalb auf Dich verzichten; dann sollte ich nicht mit Dir aufbrechen können, wie Du nach dem Orient reistest. Schließlich sollte es mir, nach tausend Schwierigkeiten einmal Syrien erreicht, nicht vergönnt sein, mit dem Philosophen zusammenzutreffen, da dieser nach Ägypten abgereist. So mußte ich wieder nach Ägypten wandern — den weiten und beschwerlichen Weg. Und auch da sollte ich das Ziel nicht erreicht sehen. Allein ich war so verliebt (in Dich), daß ich entweder nach Persien reisen mußte und mit Dir vordringen bis zu den weltfremden Barbaren — auch dorthin kamst Du ja; so weit trieb es die Eifersucht des Teufels — oder aber hier in Alexandrien mich niederlassen, was nun auch geschah. Ich glaube, wäre ich nicht ermüdet gleich einem zahmen Tier, das einem vorgehaltenen Zweig nachrennt, Du hättest auch über das Nyssa in Indien7 hinaus Dich treiben lassen und Dich verirrt bis in den äußersten Winkel unserer Erde, wenn es solchen gäbe.
Doch wozu so viele Worte? Aber jetzt endlich, wo Du in der Heimat weilst, war es mir nicht vergönnt, mit Dir zusammenzutreffen, da mich langwieriges Leiden gefangen hält. Und wenn dieses nicht bald erträglicher wird, so werden wir nicht einmal diesen Winter mit Dir zusammenkommen. Sind das nicht Fügungen eines S. 11 Schicksals, wie Du wohl selbst sagen wirst8? Sind das nicht Wirkungen einer Notwendigkeit? Geht das nicht fast über das, was die Dichter fabeln über Tantalus? Doch, wie gesagt, durch Deine Schreiben ist mir leichter geworden, und ich bin jetzt nicht mehr der gleichen Meinung. Vielmehr sage ich: Man muß Gott danken, wenn er uns das Gute schenkt; man darf ihm aber nicht zürnen, wenn er es uns eine Zeitlang vorenthält. Und so wird es auch nur höchst lieb und erfreulich sein, sollte er mir das Glück schenken, mit Dir zusammenzutreffen. Sollte er aber die Zusammenkunft hinausschieben, so will ich das Opfer ruhig tragen. Es ist denn doch wohl jedenfalls besser so, wie Er unser Schicksal lenkt, als wie wir es uns selber wünschten.
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Eine Handschrift (Cod. Regius I) hat die fälschliche Adresse: „An Eustathius, Priester zu Antiochien.” Der Adressat ist wohl der aus Kappadozien gebürtige Neuplatoniker Eustathius, dessen Weisheit und Rhetorik der Historiker Eunapius aus Sardes rühmt, und von dessen Reisen nach Ägypten und Persien er schreibt (Eunapii Sardiani Vitae Sophistarum, graece et latine denuo ed. 70. Fr. Boissonade [Parisiis 1878], p. 465 sqq.). ↩
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Oder: „Ich setzte alle dortigen Lehrer hintan.” ↩
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Konstantinopel. ↩
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Cfr. Homer, Odyssee XII, 158. ↩
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Gemeint Kleinasien. ↩
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Unter der „Metropole” ist Cäsarea zu verstehen. ↩
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Im heutigen Pandschab gelegen. ↩
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Der Adressat war also Heide. ↩