Vierzigstes Kapitel. Tapferkeit des Gerontius gegen einige Barbaren bei Tomi, und Undankbarkeit des Theodosius gegen ihn.
1. In dem Thrakischen Skythien ist eine Stadt, Tomi genannt. Der Anführer der daselbst in S. 70 Besatzung liegenden Völker war Gerontius, der durch körperliche Stärke Vorzüge hatte, und zu den Geschäften des Kriegs tüchtig war. 2. Vor der Stadt stunden Barbaren, von dem Kaiser selbst ausgesucht, die andere an Wuchs des Körpers übertrafen, und durch Muth sich auszeichneten. 3. Vor den übrigen Soldaten wurden sie dem Kaiser sowohl durch größere Getraideportionen, als auch Geschenke ausgezeichnet. Allein sie dachten nicht daran, diese Ehre durch Zuneigung zu erwiedern, sondern vielmehr durch Mangel an Achtung gegen den Anführer und Stolz gegen die Soldaten. 4. Da nun Gerontius ihre Gesinnungen kannte, wie sie darauf dachten, sich der Stadt zu bemächtigen, und den Staat zu verwirren, so theilte er den Soldaten, die durch gute Gesinnungen sich unterschieden, den Entwurf mit, den Muthwillen und Uebermuth der Barbaren zu züchtigen. 5. Wie er aber sahe, daß die Soldaten unentschlossen waren, und jede Bewegung der Barbaren fürchteten, so nahm er die Waffen, und wenige seiner Trabanten, um sich der ganzen Menge der Barbaren entgegen zu stellen, öffnete die Pforte, und gieng ihnen entgegen, während seine Soldaten entweder schliefen, und durch Unentschlossenheit wie gefesselt waren, oder auf die Mauern liefen, um zu sehen, wie es hergehe. 6. Die Barbaren belachten den Wahnsinn des Gerontius, glaubten, der Mann müsse Lust haben, zu sterben, und schickten ihm einige aus ihnen von vorzüglicher Stärke S. 71 entgegen. 7. Er aber kämpfte mit dem ersten, der ihm nahe kam, bemächtigte sich schnell seines Schildes, und stritt so lange muthvoll, bis einer der Trabanten, der beide mit einander ringen sah, dem Barbaren die Schulter abhieb, und ihn vom Pferde zog. 8. Während die Barbaren über die Stärke und den Muth des Gerontius bestürzt waren, griff er andere der Feinde an. Die auf den Mauern sahen die Thaten ihres Anführers, erinnerten sich nun auch des Römischen Namens, fielen heraus, und hieben die Barbaren, die über ihren Ausfall erschracken, nieder. Diejenigen, die entflohen, retteten sich in ein Gebäude der Christen, das für ein Asyl gehalten wird.
9. [J. 386.] Gerontius, der Skythien von der obschwebenden Gefahr befreiet, und die sich erhebenden Barbaren durch seine außerordentliche Tapferkeit und Größe des Muths besiegt hatte, erwartete nun vom Kaiser die verdiente Belohnung. 10. Theodosius aber zürnte nicht wenig, daß die Barbaren, die er so sehr geehrt hatte, umgebracht waren, ob sie gleich den Staat verheerten. Alsbald läßt er den Gerontius gefangen nehmen, und verlangt wegen seiner Großthat Verantwortung. 11. Ob er sie nun gleich des Aufstandes gegen die Römer anklagte, und ihre Plünderungen und das Verderben der Einwohner erzählte; so hörte doch der Kaiser auf alles dieses nicht, sondern beharrte darauf: Gerontius habe die Barbaren aus Begierde nach den kaiserlichen Geschenken aus dem S. 72 Wege geräumt, damit er sich durch dieselben, ohne Vorwürfe, bereichern könnte. 12. Ungeachtet er nun versicherte, er habe die goldenen Ketten, die ihnen der Kaiser zum Halsschmucke gegeben hatte, in den öffentlichen Schatz geliefert, so konnte er doch kaum dadurch, daß er sein eigenes Vermögen unter die Eunuchen vertheilte, der über ihm schwebenden Gefahr entrinnen. Solchen Dank erhielt Gerontius für seine guten Gesinnungen gegen Römer!
