1.
Ich habe die Bücher gelesen, die mir von Deiner Ehrwürden zugeschickt wurden. Über das zweite Buch habe ich mich ungemein gefreut — nicht allein wegen seiner Kürze, wie begreiflich bei einem Manne, der bereits zu allem träg und schwach ist, sondern weil es zugleich auch gedankenreich ist und deutlich darin die Gegnerthesen wie die Antworten darauf zur Darstellung kommen. Auch die einfache und ungekünstelte Schreibart schien mir der Absicht eines Christen zu entsprechen, der nicht zur Parade, sondern zum allgemeinen Nutzen schreibt. Das erste Buch aber, das inhaltlich zwar dieselbe Kraft hat, aber in schwungvollerem Stile geschrieben und mit mancherlei Figuren und dialektischer Anmut geziert ist, schien mir nicht nur viel Zeit zur Lektüre zu beanspruchen, sondern auch eine große geistige Anstrengung, um die Gedanken zu erfassen und im Gedächtnis festzuhalten. Die zwischenhinein eingestreuten Verunglimpfungen der Gegner wie die Empfehlungen der Unsrigen scheinen zwar der Schrift einige dialektische Reize zu geben, unterbrechen aber, weil sie einen hinhalten und aufhalten, den Zusammenhang der Gedanken und schwächen die Kraft einer Streitschrift. Denn das weiß doch Dein Scharfsinn ganz gewiß, daß auch von den heidnischen Philosophen diejenigen, die Dialoge schrieben, so Aristoteles und Theophrast, gleich auf die Sache losgehen, weil sie sich bewußt waren, die platonischen Feinheiten nicht zu kennen. Platon seinerseits S. 157 aber kämpft mit der Gewalt seiner Rede gegen die Lehrsätze an, und gleichzeitig macht er die Personen lächerlich, wenn er die Verwegenheit und Unverschämtheit des Thrasymachos, den Leichtsinn und die Feigheit des Hippias, den Stolz und Übermut des Protagoras geißelt. Wo er aber in seinen Dialogen unbestimmte Personen einführt, bedient er sich zwar der sprechenden Personen, um die Sache anschaulich zu machen, bringt aber von den Personen nichts weiteres in die Darlegungen hinein. So machte er es auch in den „Gesetzen1“.
Eine Schrift Platons ist betitelt „de legibus” = „Von den Gesetzen”. ↩
