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Ich wollte schweigen aus Ehrfurcht vor Dir, da ich mir sagte, daß wie einem entzündeten Auge schon das einfachste Linderungsmittel Schmerz verursacht, so auch einer von tiefer Trauer versehrten Seele eine noch so trostreiche Rede in etwa lästig werden mag, wenn sie mitten im Schmerze angebracht wird. Da es mir aber nachher kam, daß mein Wort an eine Christin gehen soll, S. 23 die längst in den göttlichen Dingen unterrichtet und auf menschliche Erlebnisse vorbereitet ist, so hätte ich es für unrecht gehalten, meiner Pflicht nicht nachzukommen. Ich kenne das Mutterherz, und wenn ich besonders an Dein Herz denke, das für alle so gütig und milde, dann kann ich ermessen den großen Schmerz, der in diesen gegenwärtigen Stunden Dich quält. Du hast einen Sohn verloren, den im Leben alle Mütter glücklich priesen, wobei sie wünschten, ihre Kinder möchten auch so sein, den nach dem Tode alle beklagten, als decke die Erde ihren eigenen Sohn. Sein Tod war ein Schlag für eine doppelte Heimat, für die unsrige und die kilikische. Mit ihm ist das große und berühmte Geschlecht gefallen, zusammengestürzt, als wäre es seiner Stütze beraubt. O die Tücke des bösen Feindes, welch ein Unheil vermochte sie doch ins Werk zu setzen! O Erde, die du solches Weh schauen mußtest! Es schauderte vielleicht der Sonne selbst, wenn sie Gefühl hat, bei diesem traurigen Schauspiele. Wer vermöchte in Worte zu fassen, was die fassungslose Seele eingibt?
