30.
Als sie1 zum Mannesalter bereits herangereift waren und die philosophischen Lehren kosteten ― was S. 89 sie nie hätten tun sollen! ― und die Redekunst sich aneigneten, welche für die Ehrlichen eine Waffe der Tugend, für die Nichtswürdigen dagegen ein Stachel der Sünde ist, konnte Julian nicht mehr seinen ganzen krankhaften Zustand verbergen und seine gottlose Arglist nur für sich ganz allein ersinnen. Wie das unter einer Masse schlummernde Feuer, ehe es noch zu heller Flamme emporsteigt, von einzelnen Funken oder von Rauch in seiner Tiefe verraten wird, oder ― wenn dir ein anderes Beispiel lieber ist ― wie Quellen, die in Höhlen brausend sprudeln, an vielen Stellen des Bodens, weil sie keinen Raum haben und keinen freien Ausgang finden, unter unterirdischem Gurgeln Blasen aufsteigen lassen, von der brausenden Macht emporgetrieben, von der darüber liegenden Last aber niedergehalten und gehemmt, so hat Julian zwar mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse unter der Zucht des Kaisers seine ganze Gottlosigkeit zurückgehalten; es wäre ja noch nicht opportun gewesen, die Gottlosigkeit offen zu zeigen. Aber denen, die mehr Verständnis für Gottlosigkeit als für Weisheit hatten, offenbarte er bisweilen seine geheimen Pläne. Er offenbarte sie in den Reden an seinen Bruder, in welchen er mehr, als es recht war, für die Hellenen eiferte; angeblich allerdings wollte er sich in den Anfängen der Redekunst üben, tatsächlich aber übte er sich im Kampfe gegen die Wahrheit. Ferner offenbarte er seine geheimen Pläne in der Freude an all dem, was den Gottlosen charakterisiert.
Julian und sein Bruder Gallus. ↩
