93.
Wer weiß nicht, daß, als ein Volk gegen die Christen wütete, viele mordete und noch mehr bedrohte, der Statthalter, welcher, den Mittelweg einschlagend, sich sowohl nach den Forderungen der Zeit richten zu müssen glaubte, als auch den Gesetzen gewisse Achtung schenkte und dementsprechend zwar viele Christen abführen ließ, aber auch manche von den Heiden bestrafte, angezeigt, vor den Kaiser geführt, seiner Ehren verlustig erklärt und abgesetzt wurde? Er entschuldigte sich unter Hinweis auf die Gesetze, nach denen er zu richten beauftragt gewesen wäre. Es hätte wenig gefehlt, daß er hingerichtet worden wäre. Schließlich aber fand er Gnade und wurde in die Verbannung geschickt. Zu bewundern ist seine Antwort; sie verrät menschlichen Sinn. „Was ist es denn Großes, ― frgt der gerechte Richter, der kein Christenverfolger war, ― wenn die Hand eines einzigen Heiden zehn Galiläer niedergemacht hat?“ War dies nicht offenkundige Rohheit? War S. 133 dies nicht eine Aufforderung zur Verfolgung, die noch viel deutlicher und furchtbarer sprach als die öffentlichen Erlasse? Wie unterscheidet sich denn noch der, der den Christenverfolgern freundlich begegnet und maßvolles Verhalten den Christen gegenüber als Unrecht erklärt, von dem, der den (direkten) Befehl erläßt, gegen sie einzuschreiten? Des Kaisers Wille ist ein ungeschriebenes Gesetz, gestützt auf seine Gewalt; es hat viel mehr Kraft als geschriebene Gesetze, welche in der Macht keine Stütze finden1.
Die hier erwähnte Geschichte bezieht sich wohl auf den Statthalter von Gaza (vgl. Kap. 86!). Denn Sozomenus 5, 9 erzählt, Julian habe seine Strenge gegen den Statthalter von Gaza mit den Worten begründet: „Wozu brauchte man sie (die Hellenisten) denn abzuführen, wenn sie sich gegen ein paar Galiläer wegen ihrer zahlreichen Frevel gegen sie selbst und die Götter wehrten?“ ↩
