24.
Mit Recht könnte einer fragen, warum wohl Moses die Schöpfung des Menschen nicht einem Schöpfer, wie alles andere, sondern gewissermassen mehreren zuschreibt. Er lässt nämlich den Allvater also sprechen: „Lasst uns einen Menschen machen nach unserem Ebenbilde und unserer Ähnlichkeit" (1 Mos. 1,26). Er, dem alles untertan ist, sollte ich meinen, hat doch nicht irgend eine Hilfe nötig? Damals als er den Himmel und die Erde und das Meer schuf, brauchte er keinen Mitarbeiter; den Menschen aber, ein so unbedeutendes und hinfälliges Lebewesen, war er nicht imstande ohne die Mithilfe anderer aus eigener Kraft selbst zu schaffen? Die wahre Ursache hiervon weiss selbstverständlich Gott allein; was aber nach wahrscheinlicher Vermutung die glaubhafte und einleuchtende Ursache zu sein scheint, darf nicht verschwiegen werden. Es ist dies folgende. Unter den existierenden Dingen gibt es zunächst solche, die weder mit Tugend noch mit Schlechtigkeit etwas zu schaffen haben, wie die Pflanzen und die unvernünftigen Tiere, jene, weil sie unbeseelt und nicht mit Vorstellungsvermögen versehen sind, diese, weil Geist und Vernunft ihnen abgeht; Geist und Vernunft sind aber gleichsam das Haus, in dem Schlechtigkeit und Tugend sich aufhalten. · Dann gibt es wieder solche, die nur Tugendhaftigkeit besitzen und an keiner Schlechtigkeit Anteil haben, wie die Gestirne; denn diese, sagt man, sind Lebewesen und zwar vernünftige Lebewesen, oder vielmehr jedes einzelne ganz Vernunft, jedes durchaus tugendhaft und für alles Böse unempfänglichl. Endlich gibt es Wesen von gemischter Natur, wie der Mensch, der alle Gegensätze in sich aufnimmt: Verstand und Unverstand, Sittsamkeit und Zuchtlosigkeit, Tapferkeit und Feigheit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, um es kurz zu sagen, Gutes und Böses, Schönes und Hässliches, Tugend und Laster. Für Gott den Allvater geziemte es sich nun wohl, selbst und allein die tugendhaften Wesen zu erschaffen, weil sie ihm selbst verwandt sind; auch die Schöpfung der indifferenten Dinge lag ihm nicht fern, da auch diese an der ihm verhassten Schlechtigkeit keinen Anteil haben; dagegen war die Schöpfung der gemischten Wesen teils passend teils unpassend für ihn, passend wegen der ihnen beigemischten besseren Idee, unpassend wegen der entgegengesetzten schlechteren. Deshalb heisst es nur bei der Schöpfung des Menschen, dass Gott sprach: „lasst uns machen", was die Hinzuziehung anderer als Mitarbeiter andeutet, damit bei den tadellosen Entschlüssen und Taten des richtig handelnden Menschen Gott, der Lenker aller Dinge, als Urheber gelte, andere Wesen dagegen, die seine Untergebenen sind, bei den entgegengesetzten; denn nicht durfte der Vater Urheber des Bösen für seine Kinder sein; ein Böses aber sind das Laster und die lasterhaften Handlungen (Den Plural in den Worten der Bibel „wir wollen einen Menschen schaffen nach unserem Ebenbilde" nimmt Philo buchstäblich und erklärt ihn aus der zwiespältigen Natur des Menschen, in dessen Seele das Gute wie das Böse seinen Sitz hat. Das Böse aber, meint Philo, liegt Gott fern, Gott, der die Quelle aller Vollkommenheit ist, darf nicht als Urheber des Bösen angesehen werden; nur das Gute in der Menschenseele rührt von Gott selbst her, das Böse dagegen von anderen. Daher sind nach Philos Auffassung des Ausdrucks der Bibel bei der Schöpfung des Menschen gleichsam mehrere Demiurgen beteiligt. Selbstverständlich denkt Philo dabei nicht an andere Götter, die Urheber des Bösen im Menschen sind vielmehr göttliche Kräfte (θεΐαι δυναμεις), die das ausführen, was Gott bei seiner Erhabenheit nicht selbst tut, wie Philo an anderer Stelle ausdrücklich sagt (de fuga § 69), dass Gott selbst den Geist, das Unsterbliche im Menschen, bildete, den sterblichen Teil dagegen durch seine Kräfte bilden liess. Der Grundsatz, dass von Gott nur das Gute, nicht das Böse, ausgehen könne, findet sich auch im Midraschl. Vgl. Bereschl. R. c. 3 zu 1 Mos. 1,5: „R. Eleasar sagte: Gott verbindet seinen Namen niemals mit dem Bösen, sondern nur mit dem Guten". Echa R. c. 2.). — Sehr treffend bezeichnet er die Gattung als „Mensch" und unterscheidet dann ihre Arten, indem er sagt, „männlich und weiblich sei (der Mensch) geschaffen worden" (1 Mos. 1,27), obwohl die Einzelwesen hier noch nicht ihre Gestalt erhielten; die nächsten Arten sind nämlich in der Gattung enthalten und zeigen sich denen, die ein scharfes Auge haben, wie in einem Spiegel (Philo nimmt auch beim Menschen eine doppelte Schöpfung an, die des Idealmenschen und die des wirklichen ersten Menschen (vgl. § 134); Hier spricht er von dem Idealmenschen oder der Gattung Mensch, und diesem Idealmenschen spricht er Doppelgeschlechtigkeit zu, indem er in den Worten der Septuaginta „ein männliches und ein weibliches erschuf er sie" die Andeutung finden will, dass in ihm die beiden Arten Mann und Weib potenziell vorhanden waren. Veranlasst ist diese Auffassung Philos wahrscheinlich durch die Stelle in Platos Gastmahl, wo der Komiker Aristophanes in einem von ihm erzählten Mythus sagt, dass der Urmensch doppelgeschlechtig war. Diese Anschauung von der mannweibliehen Natur des ersten Menschen wird auch im Midrasch Bereschl. R. cap. 8 erwähnt (aus Philo entlehnt?): „In der Stunde, da Gott den ersten Menschen schuf, schuf er ihn mannweiblich (~WnYGWrDna); denn es heisst: Mann und Weib schuf er sie".).
