7.
Er (Moses) sagt: „Im Anfang erschuf Gott den Himmel und die Erde." Darunter versteht er nicht, wie manche glauben, den Anfang hinsichtlich der Zeit; denn die Zeit existierte nicht vor der Welt, sie ist vielmehr entweder mit ihr oder nach ihr ins Dasein getreten. Denn da die Zeit das Intervall der Bewegung des Weltalls ist (Stoische Definition der Zeit.), Bewegung aber nicht früher als das Bewegte eintreten kann", sondern entweder später oder zugleich entstanden sein muss, so muss auch die Zeit entweder ebenso alt wie die Welt oder jünger als sie sein; der Versuch, sie als älter zu erweisen, wäre unphilosophisch (Die älteren griechischen Philosophen hatten angenommen, dass die Zeit älter sei als die Welt. Philo folgt Plato, der entsprechend seiner Annahme eines Weltanfangs behauptete, dass die Zeit erst mit der Welt entstanden sei.). Wenn aber hier unter „Anfang" nicht der zeitliche zu verstehen ist, so wird natürlich der Anfang der Zahl nach gemeint sein, so dass „im Anfang schuf“ dasselbe bedeutet wie „zuerst schuf" er den Himmel. In der Tat ist es vernunftgemäss, dass dieser als das vorzüglichste und aus dem reinsten (Stoffe) der Materie gebildete (Philo nennt den Himmel aus dem reinsten Bestandteil der Materie gebildet, weil (er sich nach stoischer Lehre den Himmel und die Himmelskörper aus dem Feuer entstanden denkt, das als das feinste und reinste der vier Elemente galt.) aller geschaffenen Dinge zuerst ins Dasein trat, da er die hochheilige Wohnung der sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Götter (Unter den sichtbaren Göttern sind die Gestirne gemeint, die von den meisten griechischen Philosophen für vernünftige göttliche Wesen gehalten wurden. Philo schliesst sich in der Ausdrucksweise und philosophischen Terminologie eng an seine griechischen Quellen an; trotz seines Monotheismus trägt er selbst kein Redenken, die Gestirne als „Götter" oder als „göttliche Wesen" zu bezeichnen, ganz so wie es Plato, Aristoteles, die Stoiker und die Pythagoreer taten.) sein sollte. Denn wenn auch der Schöpfer alles zugleich erschuf, so war doch nichtsdestoweniger Ordnung in der schönen Schöpfung; denn nichts ist schön bei Unordnung. Ordnung aber ist die Aufeinanderfolge und Verbindung vorangehender und nachfolgender Dinge, wenn auch nicht immer in der Ausführung, so doch in den Gedanken der Verfertiger; so klar und deutlich und nicht verworren mussten diese gefasst sein. Zuerst also erschuf (Sieben Teile unterscheidet Philo in der Idealwelt, die nach seiner Ansicht am ersten Tage geschaffen wurde: die Ideen des Himmels, der Erde, der Luft, des leeren Raumes, des Wassers, des Lufthauches und des Lichts. Diese 7 Dinge las Philo aus den drei ersten Versen der Bibel heraus: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. . . und Finsternis lag auf dem Αbgrund, und der Geist (πνεύμα = Lufthauch, Odem) Gottes schwebte über dem Wasser; und Gott sprach, es werde Licht". Merkwürdig ist, dass auch nach dem Talmud vor der eigentlichen Weltschöpfung sieben ideelle Dinge geschaffen wurden (Pesachim f. 54a). Auch im Buch der Jubiläen cap. 2 wird erzählt, dass 7 Dinge am ersten Tage geschaffen wurden. Im Midrasch Tadsche cap. 6 ist Philo benutzt (A. Epstein, Revue des etudes juives XXI S. 83).) der Schöpfer einen unkörperlichen Himmel und eine unsichtbare Erde und die Idee der Luft und die des leeren Raumes; von den beiden letzteren nannte er die eine „Finsternis", da der Luftraum seiner Natur nach dunkel ist (Philo identifiziert den biblischen Ausdruck σκότος (Finsternis) mit der Idee der Luft (άήρ). Die altgriechische Anschauung versteht nämlich unter άήρ die untere dichte neblige Luft und geradezu den finsteren Nebel im Gegensatz zu αίθήρ (Äther), der oberen Luftschicht, dem klaren Himmel.), die andere „Abgrund", denn der leere Raum ist sehr tief und weit ausgedehnt (Der Ausdruck der LXX αβυσσος (= ~WHT) bedeutet Untiefe, Abgrund, womit die Untiefen der Wassermassen gemeint sind, die die Erde bedeckten. Philo versteht darunter die Idee des leeren Raumes, weil dieser sehr tief und unermesslich ist.). Dann schuf er die unkörperliche Substanz des Wassers und die des Lufthauches und zu allen (diesen Dingen) als siebentes die Idee des Lichtes, das gleichfalls unkörperlich war, das gedachte Musterbild der Sonne und aller lichtspendenden Gestirne, die am Himmel entstehen sollten.
