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Von dem Inhalt (dieses Tages) müssen wir das anführen, was wir zu sagen imstande sind; denn alles zu sagen ist unmöglichl. Er ist nämlich vor allen bevorzugt und umfasst die Schöpfung der gedachten Welt, wie der Bericht (der Bibel) über ihn besagt. Da Gott nämlich bei seiner Göttlichkeit im voraus wusste, dass eine schöne Nachahmung niemals ohne ein schönes Vorbild entstehen kann und dass keines von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen tadellos sein würde, das nicht einem Urbilde und einer geistigen Idee nachgebildet wäre, bildete er, als er diese sichtbare Welt schaffen wollte, vorher die gedachte, um dann mit Benutzung eines unkörperlichen und gottähnlichen Vorbildes die körperliche — das jüngere Abbild eines älteren — herzustellen, die ebensoviele sinnlich wahrnehmbare Arten enthalten sollte, wie in jener gedachte vorhanden waren (Am ersten Tage wurde nach Philos Ansicht die Idealwelt (κόσμος νοητος) geschaffen, das Urbild der sinnlich wahrnehmbaren Welt (κόσμος αισθητός). Ihren Ursprung hat diese Ansicht in der platonischen Ideenlehre, speziell in den Gedanken, die Plato im Timaeus p. 28 ff. entwickelt.).
Wir dürfen jedoch weder sagen noch denken, dass die aus den Ideen zusammengesetzte Welt sich an irgend einem Orte befindet; wie sie entsteht, werden wir erkennen, wenn wir ein Gleichnis aus dem menschlichen Leben betrachten. Wenn eine Stadt durch die grosse Freigebigkeit eines Königs gegründet wird oder eines Führers, der sich unumschränkte Macht aneignet und zugleich durch Edelsinn ausgezeichnet ist und seinem Glücke noch mehr Schmuck verleihen will, so kommt ein geschulter Baukünstler, betrachtet das Klima und die günstige Lage des Ortes und skizziert zuerst bei sich nahezu sämtliche Teile der zu erbauenden Stadt, Tempel, Gymnasien, Amtsgebäude, Märkte, Häfen, Schiffswerfte, Strassen, die Anlage der Mauern, die Errichtung von Häusern und öffentlichen Gebäuden; sodann nimmt er wie in einem Wachssiegel in seiner Seele die Formen aller Gegenstände auf und malt sich eine gedachte Stadt aus; und nachdem er deren Bilder durch das ihm angeborene Erinnerungsvermögen aufgefrischt und ihre Merkmale sich noch tiefer eingeprägt, beginnt er als tüchtiger Meister, das Auge auf das Musterbild gerichtet, mit dem Bau der aus Holz und Stein bestehenden (wirklichen Stadt), indem er die körperlichen Gegenstände den einzelnen unkörperlichen Ideen vollkommen ähnlich bildet.
(Den Vergleich vom König und Baumeister hat auch der Midraschl. Bereschl. R. c. 1 Anfang: „Die Thora sagt: ich war das Werkzeug Gottes. Wenn ein König von Fleisch und Blut einen Palast baut, so baut er ihn nicht nach eigener Einsicht, sondern nach der Einsicht eines Baumeisters, der auch nicht nach seinem Gutdünken baut; er hat vielmehr Papiere und Tafeln, aus denen er die Einteilung der Zimmer und Räume erkennt. Ebenso blickte Gott auf die Thora und schuf die Welt."). Ähnlich haben wir uns die Sache auch bei Gott zu denken, dass er also in der Absicht, die „Grossstadt"(„Grossstadt" nennt Philo häufig die Welt, indem er sie nach dem Beispiel der Stoiker mit einer Stadt vergleicht.) zu bauen, zuerst im Geiste ihre Formen schuf, aus denen er eine gedachte Welt zusammensetzte und dann mit Benutzung jenes Musterbildes die sinnlich wahrnehmbare herstellte.
