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Es könnte aber einer nach dem Grunde fragen, weshalb der Mensch das letzte Stück der Weltschöpfung ist; denn nach allen anderen Werken hat ihn der Schöpfer und Vater geschaffen, wie die heiligen Schriften erzählen. Diejenigen nun, die tiefer in den Sinn der Gesetze eingedrungen sind und ihren Inhalt möglichst gründlich erforschen, geben als Grund an, dass Gott den Menschen durch die Gewährung der Vernunft, die ja die beste Gabe war, mit sich selbst verwandt machte und deshalb auch alles übrige ihm nicht missgönnen wollte, dass er also für ihn als das ihm verwandteste und liebste Geschöpf alles in der Welt vorher bereitstellte, weil er wollte, dass ihm gleich nach seiner Erschaffung keines der Dinge fehle, die zum Leben (d. hl. das körperliche Leben.) und zum guten Leben (d. hl. das geistige Leben.) notwendig sind. Zum Leben gehören reichliche Nahrungs- und Genussmittel, das gute Leben dagegen gewährt die Betrachtung der Himmelserscheinungen; durch diese gefesselt, bekommt der Geist Lust und Verlangen nach Einsicht in ihr Wesen, und daraus ist die Wissenschaft der Philosophie erwachsen, durch die der Mensch, obwohl er sterblich ist, zur Unsterblichkeit geführt wird. Gleichwie also die Gastgeber nicht eher zum Mahle rufen, als bis alles zur Mahlzeit Notwendige gut zubereitet ist (Philos Bild vom Gastgeber wiederholen die Kirchenschriftsteller Ambrosius (Epist. 43) und Gregorius von Nyssa (de hom. opif. cap. 2). Ein ähnlicher Vergleich findet sich in dem syrischen „Buche von der Erkenntnis der Wahrheit" (übers, von K. Kayser (1893) S, 242 ff). Vgl. auch Talmud Sanhedr. f. 38a. Midrasch Bereschl. R. c. 8 und Jalkut c. 15.), und die Veranstalter von gymnastischen und szenischen Wertkämpfen, bevor sie die Zuschauer in das Theater und in die Rennbahn einlassen, erst die sämtlichen Wettkämpfer und alle Genüsse für Aug' und Ohr gut vorbereiten, so hat auch der Lenker des Alls wie ein Kampfspielordner und Gastgeber, als er den Menschen zum Mahle und zum Schauspiel rufen wollte, erst das zu beiden Nötige gut vorbereitet, damit er bei seinem Eintritt in die Welt sogleich ein Gastmahl und ein hehres Theater vorfände, ein Gastmahl, das gefüllt ist mit allem, was Erde und Flüsse und Meer und Luft zum Gebrauch und Genuss hervorbringen, und ein Theater, das mannigfaltige Schaustücke bietet von überraschenden Wesen, überraschenden Eigenschaften, erstaunlichen Bewegungen und Reigentänzen in harmonischen Ordnungen, in regelmässigen Zahlenverhältnissen und in übereinstimmenden Umläufen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in allen diesen die ursprüngliche, wahrhafte und vorbildliche Musik findet, von der die später lebenden Menschen Abdrücke in ihrer Seele aufgenommen und so eine notwendige und für das Menschenleben sehr nützliche Kunst überliefert haben (Die Musik der Menschen ist nach der Ansicht der Pythagoreer eine Nachahmung und ein Abbild der himmlischen Sphärenmusik.).
