2.
Eben deshalb muß ich mich nun an Dich wenden und Dir meine Ansicht vortragen oder vielmehr Dich bitten, einen mannhaften, Deiner Weisheit würdigen Plan zu fassen, unser ins Knie gesunkenes Vaterland nicht zu verachten, sondern ins Hoflager zu gehen und mit dem Dir eigenen Freimut zu erklären, sie sollen doch nicht wähnen, zwei Provinzen statt einer gewonnen zu haben. Sie haben ja nicht aus einem fremden Gebiet eine zweite hinzuerworben, sondern sie haben ähnlich gehandelt wie der, der ein Pferd oder einen Ochsen besitzt, sie entzweiteilt und dann meint, zwei für eins zu haben. Er hat aber doch nicht zwei gemacht, vielmehr das eine vernichtet. Sage nur den Gewalthabern, sie sollen doch das Reich nicht auf diese Weise mehren; die Macht liege nicht in der Statistik, sondern im tatsächlichen Bestand. Denn wir glauben, daß die einen wohl aus Unkenntnis des wahren Sachverhaltes, andere aus Furcht, mit ihren Worten lästig zu fallen, wieder andere aus Interesselosigkeit die Vorgänge ignorieren. Wäre es Dir nun möglich, persönlich zum Kaiser zu kommen, so wäre das im Interesse der Sache das Beste und Deiner trefflichen Lebensart entsprechend. Sollte aber wegen der Jahreszeit oder wegen des Alters, das nach Deinem eigenen Geständnis die Trägheit zur Gefährtin hat, Dir das lästig fallen, so macht doch wenigstens das Schreiben keine Mühe. Wenn Du also mit Deinen Briefen dem Vaterlande Hilfe bringst, so wirst Du fürs erste das Bewußtsein haben, nichts versäumt zu haben von dem, was in Deiner Macht stand. Sodann wirst Du auch den Heimgesuchten mit Bekundung Deines Beileids reichen Trost gewähren. Aber könntest Du doch S. 127 persönlich zugegen sein, um die traurige Lage in Augenschein zu nehmen! Dann würdest Du wohl unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschauten ein (erlösendes) Wort sprechen — würdig Deiner Großmut und entsprechend der Trauer der Stadt1. Mißtrau doch unserer Darstellung nicht! Wahrlich, wir sollten einen Simonides2 oder einen ähnlichen Dichter haben, der die Leiden wirksam beklagen könnte. Doch, was rede ich von Simonides? Den Äschylus hätte ich nennen sollen, oder wer sonst ihm ähnlich die Größe eines Unglücks lebhaft geschildert oder in lauten Tönen beklagt hat.
