2.
Nun aber ist das Wort „Erkenntnis” vieldeutig. Deshalb raffen die, welche mit den Einfältigeren ihr Spiel treiben und mit Überraschungen sich auflassen, gleich den Taschenspielern, die auf dem Theater vor aller Augen die Steinchen wegstehlen, in einer allgemeinen Frage alles zusammen. Denn da das Wort Erkenntnis auf vielerlei sich erstreckt und das eine erkennbar ist nach der Zahl, das andere nach der Größe, das eine nach der Macht, das andere nach der Existenzweise, wieder etwas anderes aus der Zeit seiner Geburt und manches nach seiner Wesenheit, so fassen diese alles in einer Frage zusammen und fordern, wenn sie uns auf dem Bekenntnis, daß wir Gott kennen, erhaschen, die Erkenntnis der Wesenheit. Sehen sie aber, daß wir in der Aussage bedächtig vorgehen, so hängen sie uns den Schandfleck der Gottlosigkeit an. Allein wir bekennen, das zu wissen, was an Gott erkennbar ist, manches wieder nicht zu wissen1, was unsern Begriff übersteigt. Wie S. 286 Du also meine bejahende Antwort auf Deine Frage, ob ich wisse, was der Sand sei, offenbar bespötteln würdest, wenn Du zugleich auch die Zahl der Sandkörner wissen wolltest, weil Deine erste Frage auf die Gestalt des Sandes sich bezog, die zweite Vexierfrage aber auf die Zahl gerichtet wurde. Eine ähnliche Sophisterei leistet sich der, der sagte: „Kennst du den Timotheus?” Wenn Du den Timotheus kennst, so kennst Du auch seine Natur. Nun hast Du ja doch erklärt, den Timotheus zu kennen, so gib uns auch Aufschluß über die Natur des Timotheus! Ich kenne freilich den Timotheus, und kenne ihn doch wieder nicht — allerdings nicht in derselben Beziehung und in derselben Art. Denn nicht in derselben Beziehung, in der ich ihn kenne, kenne ich ihn auch nicht; nach der einen Seite hin kenne ich ihn, nach einer andern kenne ich ihn nicht. Ich kenne ihn nämlich nach seiner Gestalt, kenne aber nicht sein Wesen. Auch mich kenne ich so in derselben Weise und kenne mich wieder nicht. Ich weiß nämlich, wer ich bin; ich kenne mich aber nicht, insofern ich meine Wesenheit nicht kenne.
Nach anderer, besser bezeugter Lesart wäre statt „nicht” zu übersetzen „auch”. ↩
