3.
Sie sollen uns doch erklären, in welchem Sinne Paulus gesagt hat: „Jetzt zwar ist unser Erkennen Stückwerk1.” Kennen wir denn seine (Gottes) Wesenheit nur teilweise, kennen wir gleichsam nur Teile seiner Wesenheit? Dummes Zeug! Gott ist doch ungeteilt. Oder kennen wir sie (die Wesenheit) ganz? Warum denn: „Wann aber das Vollkommene kommt, dann wird das Stückwerk abgetan sein2”? Weshalb werden dann die Götzendiener angeklagt? Etwa nicht deshalb, weil sie Gott gekannt, aber ihn nicht als Gott verherrlicht haben? Warum werden die unverständigen Galater von Paulus gescholten: „Jetzt aber kennt ihr Gott, oder besser: ihr seid von Gott erkannt. Warum kehrt ihr wieder zu den schwachen und armseligen Anfangsgründen zurück3?” Wie war denn Gott in Judäa gekannt? Wußte S. 287 man etwa in Judäa, welches seine Wesenheit war? „Der Ochs”, spricht der Prophet, „kennt seinen Herrn4.” Demnach kennt nach eurer Meinung der Ochs die Wesenheit seines Herrn. Und „der Esel (kennt) die Krippe seines Herrn5; also kennt auch der Esel die Wesenheit der Krippe. „Israel aber”, sagt er, „kennt mich nicht6.“ Nach Eurer Auffassung wird Israel wohl deshalb getadelt, weil es die Wesenheit Gottes nicht erkannte. „Schütte aus”, heißt es, „deinen Zorn über die Heiden, welche dich nicht kennen7!” — heißt das: „die deine Wesenheit nicht begriffen haben”? Doch die Erkenntnis ist, wie gesagt, mannigfaltig. Wir erkennen nämlich Gott, wenn wir unsern Schöpfer kennen, wenn wir seine Wunder betrachten, wenn wir seine Gebote beachten, und wenn wir uns mit ihm vereinigen. Diese Menschen aber lassen das alles beiseite und reden nur von einer Erkenntnis in der singulären Deutung einer Betrachtung der Wesenheit Gottes selbst. „Du sollst sie”, spricht der Herr, „den Zeugnissen gegenüberstellen, woraus ich dann von dir werde erkannt werden8.” Steht denn nun: „Ich werde erkannt werden” für: „Ich werde meine Wesenheit offenbaren”? „Es kennt der Herr die Seinigen9.” Kennt er also (nur) die Wesenheit der Seinigen, die Wesenheit der Ungehorsamen aber nicht? „Adam erkannte sein Weib10.” Kannte er etwa ihre Wesenheit? Und von Rebekka heißt es: „Eine Jungfrau, kein Mann hat sie noch erkannt11.” Ferner: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne12?” Also hat niemand die Wesenheit der Rebekka erkannt? Und will Maria sagen: „Ich habe keines Mannes Wesenheit erkannt”? Pflegt nicht vielmehr die Schrift das Wort „erkennen” von ehelichen Umarmungen zu gebrauchen? Und der Ausdruck: „Gott wird vom Gnadenthrone aus erkannt werden13” will sagen: „Gott wird sich seinen Dienern S. 288 offenbaren.” Und die Stelle: „Es kennt der Herr die Seinigen14” will sagen: Er hat sie wegen ihrer guten Werke in seine Freundschaft aufgenommen.
