3.
Soll ich meine eigene Meinung äußern, so nähme ich den Terminus „wesensähnlich1”, sofern nur „ohne allen Unterschied2” dabeisteht, in demselben Sinne, den das „wesensgleich” hat — selbstverständlich nach der gesunden Auffassung von diesem Worte. So dachten auch die Väter zu Nizäa, wenn sie dem Eingebornen die Attribute „Licht vom Lichte”, „wahrer Gott vom wahren Gott” und ähnliche beilegten und dann folgerichtig das „wesensgleich” (ὁμοούσιον) [homoousion] hinzufügten. Man kann sich daher keinen Unterschied denken zwischen Licht und Licht, zwischen Wahrheit und Wahrheit, noch auch einen zwischen dem Wesen des Eingebornen und dem Wesen S. 45 des Vaters. Wenn man also den Terminus so nimmt, wie ich sagte, so lasse ich ihn passieren. Will man aber die Beifügung „ohne allen Unterschied” von dem „ähnlich” trennen, wie es die in Konstantinopel3 gemacht haben, so hege ich Verdacht, als vermindere der Ausdruck die Herrlichkeit des Eingeborenen. Denn bei der Bezeichnung „ähnlich” pflegen wir oft auch zu denken an dunkle und von den Originalen stark abweichende Bilder. Weil ich nun glaube, daß der Ausdruck „wesensgleich” weniger einer Mißdeutung unterliegt, so bekenne auch ich mich zu ihm.
Aber warum besuchst Du uns denn nicht, mein Teuerster, damit wir uns mündlich über derlei Fragen aussprechen und so wichtige Probleme nicht leblosen Buchstaben anvertrauen müssen, zumal wir uns ja vorgenommen haben, unsere Gedanken nie zu publizieren? Daß Du uns aber nicht auch, wie einst Diogenes dem Alexander, antwortest: es sei ebenso weit von Euch hieher, wie von uns dorthin! Wir sind ja fast wie die Pflanzen vor lauter Schwäche immer an Ort und Stelle gebannt. Auch rechnen wir zu den ersten Gütern das „Leben im Verborgenen4”. Du aber bist gesund, wie ich höre, und machst Dich zum Bürger der ganzen Welt. Du tust wohl nur Deine Schuldigkeit, wenn Du auch hierher kommst, gleichsam in einen Winkel Deiner Heimat. Denn wenn Ihr Leute des praktischen Lebens auf Völker und Städte angewiesen seid, um ihnen Eure Fähigkeiten und Fertigkeiten zu zeigen, so ist uns für die Betrachtung und Geistessammlung, in der wir uns mit Gott vereinen, eine gute Gehilfin die Ruhe, die wir in diesem weltfernen Winkel reichlich und bis zur Genüge pflegen — d. h. mit Gottes Hilfe, der sie uns gewährt. Wenn man aber S. 46 allgemein nur die Herrschaften beehren darf5, uns aber, die wir am Boden liegen, verachten muß, dann schreibe wenigstens Du anders und stimm uns damit freudiger!
ὅμοιον κατ̓ οὐσίαν [homoion kat’ ousian]. ↩
ἀπαϱαλλάκτως [aparallaktōs]. ↩
Eine Synode in Konstantinopel (360) nahm das zu Nike (Thrazien) revidierte Symbolum von Ariminum an, das die tt. οὐσια [ousia] und ὑπόστασις [hypostasis] ächtete und κατὰ πάντα (ὅμοιον) [kata panta (homoion)] strich (Theod. II, 15 sq; Sokr. II, 37; Athan. De synodis 8 sqq). ↩
λάϑε βιώσας [lathe biōsas] wird von Theodoret (Epist. 62) zitiert als ein Wort eines der sog. „Weisen”. Es wird auf Epikur zurückgeleitet. Vgl. Ovid (Tristitia III, 4, 25): crede mihi; bene qui latuit, bene vixit. ↩
Nämlich mit einem Besuch. ↩
