1.
S. 115 Niemand empfindet meines Erachtens den augenblicklichen Zustand der Kirchen, oder richtiger gesagt, die Konfusion in ihnen, so schmerzlich wie Deine Hochwürden. Du kannst ja die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleichen und beurteilen, wie weit jene von dieser absteht, und daß, wenn es mit derselben Geschwindigkeit abwärts geht, nichts im Wege stehen wird, daß die Kirchen innerhalb kurzer Zeit eine ganz andere Gestalt annehmen werden. Da habe ich oft bei mir erwogen: wenn schon uns die Entartung der Kirchen so beklagenswert scheint, wie mag füglich darob der gestimmt sein, der den alten guten Zustand und die Glaubenseintracht der Kirchen des Herrn aus Erfahrung kannte! Aber wie Deine Vollkommenheit darob die größte Betrübnis überkommt, so glauben wir gut zu tun, wenn wir auch den größten Teil der Sorge für die Kirche auf Deine Einsicht abwälzen. Schon längst weiß auch ich bei meiner beschränkten Einsicht in die Dinge, daß es für unsere Kirchen nur einen Rettungsweg gibt, nämlich das gemeinsame Vorgehen mit den abendländischen Bischöfen. Wollten sie nämlich den Eifer, den sie gegen einen oder zwei, die im Abendlande der Irrgläubigkeit überführt wurden1, betätigen, auch zugunsten unseres Gesamtsprengels entfalten, so würde das wohl allgemein Nutzen stiften, insofern die Machthaber2 die imponierende Zahl respektierten und anderseits die Völker allenthalben ihnen ohne Widerspruch folgen würden3. Wer wäre nun fähiger zu solchem Werke als Deine Weisheit? Wer scharfsinniger, um einzusehen, was not tut? Wer praktischer, das Nützliche ins Werk zu setzen? Wer empfindsamer für die Not der Brüder? S. 116 Wer wäre im ganzen Abendlande geachteter als Dein hochehrwürdiges Alter? Hinterlaß ein Gedenken den Lebenden, das Deines Wandels ganz würdig, ehrwürdigster Vater! Deine tausend andern Kämpfe für den wahren Glauben — kröne sie mit dieser einen Tat! Sende ab aus Deiner Kirche einige Männer, die in der gesunden Lehre bewährt sind, zu den Bischöfen des Abendlandes! Laß sie wissen unsere drückenden Verhältnisse; rat ihnen ein Mittel zur Hilfe; werde für die Kirchen ein Samuel! Mit den bekriegten Völkern hab Mitleid! Verricht Gebete um Frieden! Fleh zum Herrn um Gnade, er möge den Kirchen ein Friedenszeichen senden! Ich weiß: mein Schreiben ist zu schwach, um zu solchem Werk zu bewegen. Doch Du benötigst solche Mahnung seitens anderer nicht, so wenig wie hochgemute Kämpfer des Zurufs der Knaben. Wir wollen Dich auch nicht belehren wie einen Unwissenden, sondern einem Eifrigen den Eifer steigern.
Laut einer Randnotiz des Codex Reg. II ist hier angespielt auf das Verhalten der römischen Bischöfe gegen Auxentius von Mailand und dessen Anhang. ↩
Gemeint ist der Kaiser Valens. ↩
Basilius will die abend- und morgenländischen Bischöfe zu gemeinsamer Opposition gegen die vom Kaiser protegierten Homoier veranlassen. Valens würde dann — nach Ansicht des Basilius — seine homoische Kirchenpolitik aufgeben oder wenigstens einschränken angesichts der geschlossenen Stellungnahme so vieler Bischöfe gegen ihn. ↩
