Nr. 50
Ihr sagt, in der Menschheit seyen gute Männer, welche man für solche in Vergleichung mit den sehr Bösen halten kann. Saget an, wer sind diese? Die Philosophen, glaube ich, welche vermeinen, sie allein seyen S. 82 die weisesten und kraft dieses Namens Hoffart sich erheben: sie nämlich, welche täglich mit ihren Leidenschaften kämpfen und mit hartnäckiger Anstrengung aller Kräfte sich bemühen, die ihren Herzen einwohnenden Affekte fortzutreiben, abzuwehren; welche um nicht durch den Reiz irgend eines Besitzes zu Uebelthaten verlockt zu werden, Erbgut und Reichthum fliehen und so sich die Veranlassung zum Fall entfernen. Was Anderes nun verkündigen sie durch ihr Thun und Sagen auf's offenbarste, als daß die Seelen hinfällig und durch Schwäche zur Lasterhaftigkeit geneigt seyen. Unsere Meinung aber ist, das der Natur nach Gute verlangt weder Verbesserung noch Verminderung, ja es muß selbst das Böse nicht wissen, wenn jedweder Art Form in seiner Vollständigkeit zu beharren verlangt: denn nicht kann das Entgegengesetzte im Gegentheil inne, im Ungleichen das Gleiche oder in der Bitterkeit die Süßigkeit enthalten seyn. Der also ringt, die den Seelen eingeborenen Schlechtigkeiten zu verbessern, der zeigt auf's offenbarste, er sey unvollkommen, obwohl er sich mit aller Anstrengung und Beharrlichkeit bemühen mag.
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