Nr. 72
Allein eure Religion geht der unsrigen um viele Jahre vor und um so wahrhaftiger ist sie, weil durch des Altersthums Autorität geschützt. Was nützt es ihr, um so viele Jahre voraus zu seyn, da sie doch zu einer Zeit angefangen hat? Was ist der Raum von ihren zweitausend Jahren im Vergleich mit so vielen tausend Jahrhunderten? Und doch, damit es nicht scheine, wir wollen durch eine so lange Verhehlung die Sache verschieben, so saget, wenn es nicht beschwerlich fällt, haltet ihr den allmächtigen und ersten Gott für eine Neuheit, und meint ihr, daß die, welche verehrend ihm dienen, eine unerhörte, unbekannte, unverhoffte Religion üben und einführen? Ist irgend Etwas älter als Er, oder kann man irgend Etwas auffinden, das Ihm der Sache, der Zeit, dem Ansehen nach vorgeht? Ist er nicht ganz allein unerschaffen, unsterblich und immer fortdauernd? Wer ist der Dinge Haupt und Ursprung? Nicht Er selbst? Wem verdankt die Ewigkeit eben das, wodurch sie sich als Ewigkeit zu erkennen giebt? Nicht Ihm? Daß die unendlichen Zeiten sich entfalten, geschieht dieß nicht aus seiner ununterbrochenen Fortdauer? Unbezweifelbar und wahrhaftig ist das; folglich ist, wem wir nachfolgen, nicht neu, sondern wir haben uns nur spät an den, dem man folgen und dienen soll, angeschlossen; oder wo es schicklich ist sowohl die Hoffnung des Heils anzuheften, als auch die dienenden Hilfsmittel zu ordnen: denn noch nicht war erschienen, der den Irrenden den Weg zeigte, den in tiefster Finsterniß Befindlichen das Licht der Erkenntniß zubrachte und der Unwissenheit Blindheit vernichtete.
