Nr. 26
Wenn ich aber höre daß man sagt, die Seele sey, ich weiß nicht wie vortrefflich, Gott verwandt und zunächst, und sie komme dieß Alles wissend von dem oberen Geschlechte herab: so will ich nicht, daß sie lerne, sondern daß sie lehre; nicht soll aus der Belehrten, wie man bebauptet, eine Schülerin werden, sondern sie soll das Ihrige behaltend sich mit dem menschlichen Körper umgeben: denn verhielte sich die Sache nicht also, wer wird unterscheiden können, inwiefern sie des von ihr Vernommenen sich erinnert oder es erst lernt? da man viel leichter glauben mag, sie lerne was sie nicht wisse; als sie habe, was sie noch kurz vorher wußte, vergessen und lasse sich durch des Körpers Widerstand die Wiederholung des Frühern gefallen. Und wo findet sich die Rede, die unsterbliche Seele habe keine Substanz? denn was keinen Körper besitzt, findet durch keinen anderen Widerstand, noch kann irgend etwas veranlaßt werden, das zu verlieren, was die Berührung eines entgegengesetzten Dinges nicht erleiden kann. Wie nämlich die in den Körpern festgesetzte Zahl, obschon von unzähligen Körpern überdeckt, doch unversehrt und unverletzbar besteht, so können nothwendig die Seelen, sind sie, wie S. 70 man annimmt, unkörperlich, kein Vergessen des Frühern erleiden, obschon dieselben der Körper innigste Verbindung umfaßt hat. Ja, noch mehr; derselbe Grund zeigt nicht nur, daß sie nicht unkörperlich sind, sondern beraubt sie auch aller Unsterblichkeit und legt ihnen das Ende auf, welches gewöhnlicher Weise das Leben abzuschließen pflegt. Was immer nämlich durch irgend eine hereinbrechende Ursache so geändert und gewandelt wird, daß es seine Unversehrtheit nicht erhalten kann, dessen Natur ist nothwendig als unstät zu beurtheilen. Was aber der Unstätigkeit fähig und unterworfen ist, das wird als vergänglich mittelst der hinzukommenden Unstätigkeitsmöglichkeit selbst ausgesagt.
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