Nr. 49
Aber, sagt ihr, es giebt in der Menschheit weise, gerechte, schuldlose und höchst sittliche Männer. Wir untersuchen nicht, ob jemals solche waren, bei welchen überhaupt das, was man Vollkommenheit nennt, Nichts vermißte. Es mag allerdings sehr ehrbare geben und lobwürdige gegeben haben; sie mögen den obersten Gipfel der Vollkommenheit inne gehabt haben und nie mag ihr Wandel irgendwie abgewichen seyn; allein wir verlangen zu hören, wie viele ihrer sind oder der Zahl nach waren, um aus der Göße der Menge zu ermessen, ob die Entgegensetzung gehörig, ob sie sich durch die Vergleichung aufwiegen? Einer, zwei, drei, vier, zehn, zwanzig, hundert, durch eine bestimmte Zahl ausgedrückt und durch bemerkliche Namen etwa bezeichnet. Das menschliche Geschlecht jedoch wird schicklicher Weise nicht nach wenigen Guten, sondern nach allen Uebrigen geschätzt und abgewogen: denn der Theil ist im Ganzen, nicht das ganze im Theil, und das Allgemeine muß die Bestandtheile anziehen, nicht diesen sich anfügen. Was weiter, wenn du sagst, der an allen Gliedern verletzte und vor heftigen Qualen heulende Mensch sey um deßwillen gesund, weil er an einem Nagel keinen Schmerz empfindet? oder die Erde sey Gold, weil in irgend eines Hügels Warze weniger Staub inne ist, aus welchem geschmolzen das Gold entsteht, das sich der Menschheit Bewunderung erwirbt? Das Ganze des Stoffes bewährt die Qualität des Bestandtheils, nicht der luftige Staub; auch wird das Meer nicht unmittelbar süß, gießest du etliche Tropfen Süßwasser in dasselbe; denn das Unermeßliche verschlingt diese Wenigkeit; und nicht sowohl für wenig, sondern vielmehr für Nichts muß rnan das halten, was durch Alles hin ausgegossen sich verliert und in solcher maßlosen Masse untergeht.
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