Nr. 29
Da dieß sich so verhält, so wollet aufhören, ich bitte euch, Kleinigkeiten und Nichtiges für etwas Ungeheueres zu schätzen. Lasset ab, den Menschen, da er ein Proletarier ist, den ersten Klassen, da er ganz arm und seinen Kopf als Steuer aufweist, den obersten Rangordnungen zuzuschreiben. Der, weil hilflos, bedürftig eines ärmlichen Heerdes, auch niemals des patrizischen Ruhmes würdig konnte genannt werden. Da es euch als Männer der Wahrheit und Muster der Rechtschaffenheit zustand, die Hoffart und Arroganz zu brechen, durch welche Uebel wir uns insgesammt erheben und mit nichtiger Eitelkeit erfüllen lassen; so hieltet ihr nicht sowohl dafür, diese Uebel zu beschreiben, sondern was noch viel mehr beschwert, ihr fügtet Umstände hinzu, durch welche die Schuld wuchs, wie auch die unverbesserliche Nichtswürdigkeit andauerte. Welcher Mensch nämlich, obschon er immer die natürliche Schande und alles Schimpfliche flieht, wird, hört er von den weisesten Männern ausgesagt, just die Seelen seyen unsterblich und den Gesetzen der Verhängnisse nicht unterworfen, sich nicht jählings in alle Schandthaten hineinstürzen; nicht unerschrocken Unerlaubtes unternehmen und begehen? wird er nicht endlich seinen Begierden Alles zugestehen, was die zügellose Wollust befahl, überdieß auch durch das Freiseyn von der Sträflichkeit sicher? Was nämlich wird verhüthen, daß er dieß nicht thue? die Furcht vor einer obern Macht und vor dem göttlichen Gerichte? Und wer wird durch irgend eines Schreckens Schauer erschüttert werden können, beredet worden, er sey eben so unsterblich als der erste Gott selbst, und nichts von ihm könne irgendwie gerichtet werden, da beiden gleiche Unsterblichkeit zukommt; bei der Gleichheit des Zustandes auch der eine nicht durch den andern beschädigt werden kann.
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