39.
Man muß nun untersuchen, was das vernünftige und gesittete Geschöpf, das nichts ohne vernünftige Überlegung ausführt, füglich essen oder nicht essen darf, und man soll nicht aufs Geratewohl „Schafe oder Ziegen oder Kühe verehren“. Von diesen sich zu enthalten, ginge noch an, da die Menschen von diesen Tieren großen Nutzen ziehen, aber auch die Krokodile zu schonen und [zu glauben], sie seien irgendeiner fabelhaften Gottheit heilig, wäre wohl das Albernste von der Welt. Denn nur ganz verrückte Leute können Tiere verschonen, die1 nicht verschonen, und ein Tier in Ehren halten, das Menschen auffrißt. Doch Celsus findet Gefallen an Leuten, die nach gewissen „ererbten Gebräuchen Krokodile verehren und sorgsam pflegen“, und kein Wort hat er wider sie geschrieben; die Christen dagegen verdienen in seinen Augen Tadel, weil S. 492 sie sich belehren lassen, die Schlechtigkeit zu verabscheuen und die aus ihr entspringenden Werke zu vermeiden, dagegen die Tugend zu ehren und hochzuhalten, da sie durch Gott geworden und Gottes Sohn ist. Man darf nämlich nicht glauben, die Weisheit und die Gerechtigkeit seien weibliche Wesen, weil ihre Namen2 weiblichen Geschlechtes sind; denn die Weisheit und Gerechtigkeit ist ja nach unserer Auffassung der Sohn Gottes, wie sein wahrer Jünger dargelegt hat, wenn er von ihm sagt: „Der für uns Weisheit von Gott geworden ist und Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung“3 . Und wenn wir nun auch von einem zweiten Gott reden, so möge man wissen. dass wir mit dem Ausdruck „zweiter Gott“ nichts anderes meinen als die Tugend, die alle Tugenden in sich begreift, und die Vernunft, die alle Vernunft in sich schließt, welche sich bei jedem einzelnen der nach den Gesetzen der Natur zu einem bestimmten Zweck und zum Nutzen des Ganzen geschaffenen Wesen vorfindet. Und diese Vernunft ist, so sagen wir, im Vergleich mit jeder anderen Seele vor allem in der Seele Jesu heimisch geworden und mit ihr aufs innigste verbunden; denn Jesus allein war imstande, diese hohe Teilnahme an der absoluten Vernunft und an der absoluten Weisheit und an der absoluten Gerechtigkeit4 vollkommen zu gewinnen.
