114. Frage.
Da der Herr befiehlt: „Nöthigt dich Jemand eine Meile mitzugehen, wohlan so gehe zwei Meilen mit ihm!“1 und da der Apostel lehrt, daß wir uns einander unterwerfen sollen in der Furcht Christi,2 — muß man da einem Jeden und in Allem gehorchen?
Antwort. Der Unterschied der Befehlenden darf den Gehorsam Derjenigen, denen befohlen wird, in keiner Weise beeinträchtigen; denn auch Moses verachtete den Jothor nicht, der ihm Gutes rieth. Da aber in Dem, was befohlen wird, kein geringer Unterschied herrscht, — denn Einiges ist dem Gebote des Herrn entgegen oder verdirbt es sogar oder verunreinigt es vielfach durch Beimischung von Verbotenem, Anderes stimmt mit dem Gebote überein, Anderes, obgleich es mit demselben nicht übereinzustimmen scheint, fördert es dennoch und ist gleichsam eine Stütze des Gebots, — so müssen wir an den Ausspruch des Apostels denken: „Weissagungen verachtet nicht! Alles prüfet, das Gute behaltet! Vermeidet jeden Schein des Bösen!“3 Und wiederum: „Indem wir zerstören die Rathschläge und alle Hohheit, die sich erhebt gegen die Kenntniß Gottes, und indem wir gefangen nehmen jeden Verstand zum Gehorsame Christi.“4 Wird uns daher Etwas befohlen, was mit dem Gebote des Herrn zusammenfällt oder es fördert, so müssen wir es als Willen Gottes um so eifriger und S. 248 sorgfältiger aufnehmen, indem wir erfüllen, was da gesagt ist: „Ertragend einander in der Liebe Christi.“5 Wird uns aber von Jemandem Etwas befohlen, was dem Gebote des Herrn zuwider ist, es verdirbt oder verunreinigt, dann ist es Zeit zu sagen: „Man muß Gott mehr gehorchen als Menschen.“6 indem wir an den Herrn denken, der sagt: „Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen; denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht;“7 und an den Apostel, der unserer Sicherheit wegen selbst die Engel heranzuziehen wagte, indem er sagt: „Wenn auch wir selbst oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündigte, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht.“8 Daraus lernen wir, daß, wenn Derjenige, der von dem Herrn Befohlenes verhindert oder von ihm Verbotenes zu thun anräth, ihn Jeder, der den Herrn liebt, ist er auch noch so nahe verwandt und noch so angesehen, fliehen und verabscheuen muß.
