2.
Wozu also zu Träumen seine Zuflucht nehmen, Traumdeuter mieten und bei öffentlichen Gastmählern uns zum Tischgespräche machen? Wären nämlich die Verleumdungen bei andern im Umlauf, so hätte ich Euch als Zeugen für meine Gesinnung bestellt. Auch jetzt wünsche ich, daß ein jeder von Euch an jene alten Zeiten sich erinnere, da uns die Stadt zur Unterweisung der Jugend einlud, und die Spitzen Eurer Bürgerschaft als Abordnung bei uns sich einfanden, und wie hernach alle insgesamt um uns sich versammelten. Was habt Ihr damals nicht gegeben? Was nicht versprochen? Gleichwohl konnte man uns nicht festhalten. Wie sollte ich also, der ich damals trotz des Rufes nicht folgte, jetzt unberufen mich einzudrängen suchen? Und wie sollte ich, der ich der Begeisterung und Bewunderung entwichen bin, jetzt nach denen begehren, die mich verleumden? Glaubt das nicht, meine Besten! So schlecht steht unsere Sache denn doch nicht. Wie wohl kein vernünftiger Mensch ein Schiff besteigt, das keinen Steuermann hat, so geht auch niemand in eine Kirche, in der diejenigen, die selbst am Steuerruder sitzen, Ungewitter und Sturm erregen. Woher kam es, daß die Stadt in vollen Aufruhr geriet, als die einen ohne jeden Verfolger die Flucht ergriffen, andere heimlich entwichen, ohne daß jemand sie bedrohte, Wahrsager und Traumdeuter aber allgemein Schrecken verbreiteten? Woher sonst denn das? Oder ist es nicht selbst einem Kinde bekannt, daß diese Erregung von den Führern der Menge herrührt? Die Ursachen ihrer Feindschaft zu nennen, steht mir nicht an; Ihr könnt sie aber ganz leicht einsehen. Denn wenn die Erbitterung und Zwietracht S. 236 keiner Steigerung mehr fähig sind, die angebliche Ursache aber ganz haltlos und lächerlich ist, so handelt es sich offenbar um die Krankheit der Seele, die bei fremdem Wohlergehen sich einstellt, für den „Kranken” aber ein eigenartiges und vorzügliches Übel ist. Solche Leute verfallen noch einer andern Lächerlichkeit: Obschon sie in der Tiefe ihres Herzens zerrissen und gequält sind, so erlaubt ihnen doch die Scham nicht, ihr Unglück zu verraten. Dieses ihr seelisches Leiden läßt sich nicht nur aus ihrem Benehmen gegen uns, sondern auch aus ihrem sonstigen Lebenswandel erkennen. Wenn es aber auch nicht erkannt würde, so wäre das für die Sache doch kein großer Nachteil. Den wahrsten Grund aber, weshalb sie eine Zusammenkunft mit uns unerwünscht finden, und der vielleicht den meisten von Euch unbekannt ist, will ich angeben. So hört!
