12.
Soviel wollen wir nun für den Augenblick über die anbetungswürdige und heilige Dreieinigkeit gesagt haben. Denn es ist hier nicht möglich, diese Frage weitläufiger zu behandeln. Ihr aber nehmt von unserer Wenigkeit den Samen hin und pflanzt ihn Euch zur reifen Ähre! Wie Ihr ja wißt, fordern wir von solchen Gaben auch Früchte. Ich hoffe aber zu Gott, daß Ihr bei der Reinheit Eures Wandels dreißig-, sechzig- und hundertfältige Frucht bringen werdet. Denn „Selig sind,” heißt es, „die reinen Herzens sind, sie werden Gott S. 41 anschauen1”. Auch sollt Ihr, meine Brüder, das Himmelreich für nichts anderes erachten als für die richtige Erkenntnis der Dinge, die eben die heiligen Schriften als Seligkeit bezeichnen — „denn das Reich der Himmel ist in euch2”. Im inneren Menschen gibt es aber nichts anderes als die Beschaulichkeit; Beschaulichkeit wird also das Himmelreich sein. Wovon wir jetzt die Schatten schauen wie in einem Spiegel, davon werden wir später die Urbilder schauen, wenn wir, dieses irdischen Leibes entledigt, den unverweslichen und unsterblichen angezogen haben werden. Ja, schauen werden wir sie, wenn wir im Leben auf das sittlich Gute zusteuern und um unseren wahren Glauben besorgt sind, zwei Bedingungen, ohne die niemand den Herrn schauen wird. „Denn in eine boshafte Seele”, heißt es, „wird die Weisheit nicht eingehen und nicht wohnen in einem Leibe, der der Sünde frönt3.” Niemand komme mir mit der Einrede: Du, der du nicht die Dinge kennst, die vor deinen Füßen liegen, philosophierst uns etwas vor über das unkörperliche und ganz immaterielle Wesen. Ich halte es für ungereimt, wenn wir unsere Sinne ungehindert mit ihren Stoffen sich anfüllen lassen, und dem Geist die ihm eigene Wirksamkeit unterbinden. Denn wie der Sinn auf Sinnliches aus ist, so der Geist auf Geistiges. Zugleich ist aber auch das zu sagen, daß Gott, unser Schöpfer, die physischen (= Sinnes-) Kriterien so geschaffen hat, daß sie keiner Belehrung bedürfen. Niemand lehrt das Gesicht Farben oder Gestalten wahrnehmen oder das Ohr Geräusch und Stimmen auffangen oder den Geruch wohlriechende und übelriechende Dinge oder den Geschmack Säfte und Flüssigkeiten oder das Gefühl Weiches und Hartes, Warmes und Kaltes unterscheiden. So braucht auch der Geist keine Belehrung, auf Geistiges sich zu verlegen. Und wie die etwa krank gewordenen Sinnesorgane nur der Pflege bedürfen und dann ihren Dienst wieder leicht versehen, so bedarf auch der ans Fleisch gefesselte und mit fleischlichen Phantasien getränkte Geist nur des S. 42 Glaubens und eines rechten Wandels, die ja seine Füße gleich denen eines Hirsches flink machen4 und ihn auf die Höhen führen. Eben das legt uns auch der weise Salomo nahe: Bald hält er uns die Ameise vor, die unverdrossene Arbeiterin5, und beschreibt uns an ihr den tätigen Weg, bald beschreibt er das zellenschaffende Organ der klugen Biene6 und gemahnt uns durch sie an die Betrachtung der Natur, die auch die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit in sich schließt, wenn ja aus der Schönheit der Geschöpfe schlußweise der Schöpfer erkannt wird7. Doch jetzt wollen wir mit einem Dank an den Vater, Sohn und Heiligen Geist mit unserm Schreiben Schluß machen; denn „alles mit Maß — ist das Beste8”, sagt auch das Sprichwort.
