8.
Als sie den engelgleichen Wandel begannen, stand die selige Melania im Alter von zwanzig Jahren, Pinian aber, von jetzt an ihr Bruder im Herrn, zählte vierundzwanzig. Der Jugend wegen ausserstande, sich S. 451 unablässig zu kasteien, waren sie bestrebt, sich einfach zu kleiden. Die Selige trug ein Gewand, das wertlos war und zudem abgenützt; sie suchte damit ihre jugendliche Schönheit in Schatten zu stellen. Pinian dagegen zog kilikische Gewänder1 an; er hatte vor kurzem erst auf glänzende Kleidung und weichliches Leben verzichtet. Als nun die Selige wahrnahm, dass er noch immer auf prächtige Kleider etwas hielt, empfand sie nicht geringen Schmerz, aber aus Angst, er sei nach Art der jungen Männer unbeständig und gerate schnell in Zorn, wagte sie nicht, ihn offen zu tadeln; denn sie sah, dass er in vollster Jugendkraft und Blüte stand. Deshalb hielt sie die Absicht geheim und sagte: „Hat sich, seit wir anfingen unser Gelübde vor Gott zu erfüllen, niemals in deinem Innern ein Verlangen nach mir geregt?“ Und der Selige, der die Reinheit ihres Herzens kannte, beteuerte vor dem Herr: „Ich sehe dich, seit wir Gott das Versprechen gaben und ein keusches Leben begannen, nicht anders an als deine heilige Mutter Albina.“ Da fügte sie die Mahnung bei: „Dann folge mir auch als einer Mutter und geistlichen Schwester und lege die kilikischen Kleider ab. Derlei taugt nicht für einen Menschen, der aus Liebe zu Gott die Eitelkeit der Welt verlassen hat.“ Gerne kam er dem trefflichen Rate nach, weil er überzeugt war, dem Heile beider zu nützen, und vertauschte die kilikischen Kleider mit antiochenischen2 von Naturfarbe, die nur ein Goldstück wert waren.
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