44.
Oft ermahnte sie die Schwestern zum Gehorsam nach dem Willen Gottes, indem sie sprach: „Ohne Gehorsam kann auch in der Welt nichts bestehen; denn sogar die Mächtigen dieser Welt sind einander untertan und gehorsam; und ob sie Kronen tragen, dennoch handeln und befehlen sie nicht auf eigene Faust in den meisten und wichtigsten Fällen, es sei denn, sie hätten zuvor den Rat der Senatoren erholt. Genau so steht es in den Häusern der Weltleute; nimmt man den Gehorsam hinweg, das kostbarste Gut, dann ist es auch um die Ordnung geschehen; und wenn die Ordnung fehlt, wankt auch der Friede. Deshalb müssen wir alle gehorchen; darin aber besteht der Gehorsam, dass du tust, was du nicht willst, dem zu Gefallen, der es befiehlt, und dass du dir selber Gewalt antust aus Liebe zu dem, der gesagt hat: 'Das Himmelreich leidet Gewalt und die Gewalt brauchen, reissen es an sich.'“1 Um sie zur Geduld aufzumuntern gegen alles, was einem im notwendigen Verkehre mit den Menschen begegnen kann, erzählte sie den Ausspruch eines heiligen Greises: „Jemand“, sagte sie, „ging zu einem alten heiligen Manne, sich von ihm belehren zu lassen. Der sagte: 'Kannst du mir aus Liebe zum Herrn Gehorsam leisten in allen Dingen?' Er gab zur Antwort: 'Vater, mit dem grössten Eifer will ich alles tun, was du mir befehlen magst.' Der Greis darauf: 'Nimm eine Geissel, geh' dorthin, schlag' jene Bildsäule und tritt sie mit Füssen!' Da ging er bereitwillig hin, vollzog den Auftrag und kam zurück. Nun fragte der Greis: 'Hat dir die Bildsäule nichts entgegnet, als du sie schlugest und mit Füssen tratest?' Er sagte; 'Nein, nicht eine Silbe.' Da sprach der Vater; 'Dann geh' nochmals hin und schlag' sie wiederum und beschimpfe sie noch dazu!' S. 476 Sogar ein drittes Mal gebot ihm der Vater, und als sie noch immer nichts entgegnete - sie war ja steinern und konnte nicht -, da sagte der heilige Greis: 'Wenn du werden kannst wie jene Bildsäule, so dass du geschmäht nicht wieder schmähst und geschlagen keinen Widerspruch erhebst,2 so kannst du gerettet werden und bei mir bleiben.'3 Diesem, meine Töchter, lasset uns nachahmen und alles in Geduld ertragen. Verachtung, Schimpf und Schande, damit wir das Reich der Himmel erben!“4
Mt 11,12. ↩
Vgl. 1Petr 2,23. ↩
Von Makarius dem Ägypter (+ um 390) erzählte man, er habe zu demselben Zweck einen Schüler auf den Friedhof gesandt, ein Mal die Toten zu lästern und ein Mal sie zu loben. Am Schlusse gibt er ihm die Mahnung: „So mußt auch du sterben, wenn du gerettet werden willst, weder Lob noch Lästerung der Menschen achten.“ ↩
Vgl. Mt 5,3 f. ↩
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