6.
Als nun ihr seliger Gatte sah, welch entsetzliche Schmerzen sie litt und wie sie mit dem Tode rang, befiel ihn Angst ohne Massen, auf dass er fast gestorben wäre. Da lief er eilig zum Altar und schrie weinend zum Herrn um ihr Leben. Als er noch neben dem Altare sass, liess ihm die Heilige sagen. „Willst du, dass ich am Leben bleibe, so mache vor Gottes Antlitz das Gelübde, dass wir beide künftig in Keuschheit leben; dann sollst du Christi Kraft erkennen.“ Weil er in Furcht war, sie nicht mehr lebendig zu treffen, versprach er es gern. Sie aber fühlte sich besser teils durch die Gnade von oben, teils durch den Jubel über die Zusage des Gatten. Als sie dann endlich genas, trug sie kein Seidengewand mehr, angeblich aus Trauer um das entschlafene Knäblein. Um dieselbe Zeit starb auch ihr Töchterlein in kindlicher Unschuld. Nun begannen beide sofort ihr Versprechen, das sie Gott gegeben hatten, zu halten; doch wurde das von den Eltern nicht erlaubt. Sie fielen darob in solche Traurigkeit, dass sie nichts mehr essen wollten, bis sie die Zustimmung erlangten. Dann hegten sie den Wunsch, aus dem Elternhause wegziehen zu dürfen, um ohne Hindernis S. 450 dem eitlen Glanze der Welt den Rücken zu kehren und ihren Wandel dem der Engel des Himmels gleichförmig zu gestalten. Doch widersetzten sich die Eltern den Wunsche der Kinder, denn sie scheuten den Vorwurf der Leute. Die beiden aber empfanden es schwer, dass sie durch den Zwang der Eltern abgehalten waren, das Joch Christi zu nehmen; deshalb beschlossen sie, miteinander aus der Stadt zu fliehen. Während sie diesen Plan erwogen - die Selige hat es uns erzählt zur Erbauung - umströmte sie, da der Abend dämmerte, plötzlich ein himmlischer Wohlgeruch und verwandelte die tiefe Traurigkeit in unaussprechliche Freude, so dass sie Gott dankten und neuen Mut fassten gegen die Nachstellungen des Feindes.
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