1.
Die selige Melania war das einzige Kind einer römischen Senatorenfamilie.1 Von zartester Jugend auf trug sie Verlangen nach Christo, war von göttlicher Liebe verwundet und von dem innigen Wunsche beseelt, die Reinheit des Leibes zu bewahren. Weil aber die Eltern hoch in Ehren standen im römischen Senat und von ihr die Fortpflanzung des Stammes erhofften, zwangen sie die Tochter gewaltsam zur Ehe mit ihrem seligen Gatten Pinian,2 der aus konsularischem Geschlechte war. Sie zählte damals dreizehn Jahre, während ihr Lebensgefährte bei siebzehn war. Nach der Hochzeit bat sie, voll tiefen Abscheus gegen die Welt, den Gatten unter vielen Tränen: „Mein Herr, ich will dich als Gebieter anerkennen über mein Leben, wenn du mit mir die Keuschheit bewahrest; dünkt es dir aber zu schwer um deiner Jugend willen, so nimm mein ganzes Vermögen und schalte damit als Eigentümer nach deinem Belieben! Nur lass mich unberührt, auf dass ich imstande sei, Christo den Leib und die Seele makellos S. 448 entgegenzubringen an jenen schrecklichen Tage! Denn nur so vermag ich meine Sehnsucht nach Gott zu stillen.“ Doch ging er anfangs weder auf ihren Vorschlag ein noch gab er sich Mühe sie ganz davon abzubringen; er sagte nur: „Haben wir einmal durch Gottes Gnade zwei Kinder als Erben unseres Eigentumes, dann wollen wir beide der Welt entsagen.“ Und es ward ihnen nach dem Willen des Allerhöchsten ein Töchterlein geschenkt; das weihten sie Gott sogleich als Jungfrau.
Die Heilige sah das Licht der Welt 383 als Kind des Senators Publicola vom alten Stamme der Valerier. Ihre Mutter Albina war vom Geschlechte der Celonier. Ihre gleichfalls hochberühmte Großmutter, die ältere Melania, hatte nach dem frühen Tod ihres Gatten heimlich Rom verlassen und im Orient ein asketisches Leben begonnen. (Vgl. Palladius Kap. 46.) ↩
Pinian entsproß einer Nebenlinie der Gens Valeria, war also mit Melania verwandt. Ohne Zweifel wollte man durch diese Verbindung den unermeßlichen Reichtum der Eltern Melanias vor dem Übergang an eine fremde Familie bewahren. ↩
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