52.
Ich wage nicht zu verschweigen, welch ein Zeichen der Herr in Tripolis1 um ihretwillen tat: denn es S. 481 sagt die Schrift: „Das Geheimnis des Königs verbergen ist gut; aber die Werke Gottes offenbaren ist ehrenvoll.“2 Dort angekommen blieben wir bei der Kirche des heiligen Märtyrers Leontius,3 wo nicht wenige Wunder geschehen, Wir, die Reisegenossen der Seligen, waren in grosser Anzahl, hatten aber keinen Pass.4 Deshalb weigerte sich der allzustrenge kaiserliche Beamte namens Messala mit aller Entschiedenheit, uns die nötigen Reittiere zu stellen. Dadurch tiefbetrübt verharrte die Selige betend und wachend bei den Überresten des heiligen Märtyrers Leontius vom Abend, bis die Tiere gebracht wurden. Als wir etwa sieben Meilen5 zurückgelegt hatten, holte uns der Beamte ein und fragte voll Aufregung: „Wo ist der Priester?“ Weil ich unerfahren im Reisen war, geriet ich in Angst, er sei gekommen uns die Tiere zu nehmen; so stieg ich denn ab und fragte nach seinem Begehren. Er gab zur Antwort: „Ich bitte mit der hohen Herrin sprechen zu dürfen.“ Sobald er sie sah, umfing er ihre Füsse und begann unter vielen Tränen zu flehen: „Verzeihe mir, Magd Christi, dass ich zögerte die Tiere zu senden! Ich wusste nicht, welch' grosse Heilige du bist.“ Sie sagte: „Gott segne dich, Sohn, dass du sie dennoch gesendet hast, wenn auch nach einigem Zögern.“ Er holte sodann drei Goldstücke vor, die er von mir als Geschenk erhalten hatte, und bat, ich solle sie zurücknehmen. Auf meine Weigerung fing er an der Heiligen zu berichten: „Die ganze Nacht wurden ich und deine Magd, meine Gattin, vom heiligen Leontius gepeinigt; deshalb standen wir frühe schon auf und eilten in die Kirche. Da wir euch nimmer fanden, kehrte sie zurück, denn sie war nicht imstande sich weiter zu bemühen, ich aber folgte dir schleunigst nach und bitte nun deine Heiligkeit um dein S. 482 Gebet, dass Gott uns gnädig sei.“ Nachdem wir das vernommen hatten, widersetzten wir uns nicht länger wegen des Geldes, sprachen ein Gebet und nahmen freundlichen Abschied von dem Beamten, der in freudiger Stimmung den Rückweg antrat. Als die ganze Reisegesellschaft ihrem Staunen über den Vorfall Ausdruck gab, sagte die Selige: „Fasset Mut, denn Gott will es, dass wir reisen!“ Nun drangen wir sehr in sie, den Grund der Überzeugung auszusprechen. Die Heilige sagte darauf: „Ich flehte die ganze Nacht zum heiligen Märtyrer Leontius um ein günstiges Zeichen für die Reise. Nun sehet, ich Unwürdige ward erhört.“ Da zogen wir voll Zuversicht weiter und fanden überall guten Empfang.
Stadt in Syrien. ↩
Tob 12,7. ↩
Der hl. Leontius war Grieche, diente im kaiserlichen Heer und soll schon unter Vespasian (69-79) mit Hypatius und Theodolus der Martertod erlitten haben zu Tripolis (Fest 20. August). ↩
Die Selige hatte demnach einen schriftlichen Anspruch auf Benützung der kaiserlichen Post. ↩
Die röm. Meile = 1472,5 m. ↩
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