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Als Ankläger der christlichen Lehre wirft uns dann Celsus die Sektenbildung im Christentum vor und sagt: "Seitdem sie aber zu einer Menge angewachsen sind, entstehen wiederum unter ihnen Parteien und Spaltungen, und ein jeder will sich einen eigenen S. 218 Anhang schaffen. Und infolge der Menge," fährt er fort, „trennen sie sich wieder voneinander und verdammen sich dann gegenseitig; so dass sie sozusagen nur noch eins gemeinsam haben, wenn sie es wirklich gemeinsam haben, nämlich den bloßen Namen. Dieser ist noch das einzige, das sie sich doch schämen aufzugeben; im übrigen aber hält es von den Parteien diese so und jene anders.“1 Wir antworten: Überall, wo etwas Ernstes und Gemeinnütziges ins Leben trat, haben sich verschiedene Parteien gebildet. Weil die Heilkunde dem Menschengeschlecht nützlich und notwendig ist, und weil in ihr über die Art und Weise der Behandlung des Körpers vielfache Untersuchungen angestellt werden, deshalb finden sich bekanntermaßen bei den Griechen auf dem Gebiete dieser Wissenschaft mehrere Schulen2, und ebenso, wie ich glaube, auch bei allen Nichtgriechen, soweit diese sich mit der Heilkunst befassen. Ferner verspricht die Philosophie Wahrheit und Erkenntnis des Seienden zu bringen und gibt Lebensregeln an die Hand und versucht das zu lehren, was unserem Geschlechte nützlich ist.
Ihre Untersuchungen umfassen aber ein weites Gebiet, deshalb haben sich in der Philosophie außerordentlich viele Sekten gebildet, von denen einige berühmter geworden, andere unbekannter geblieben sind. Im Judentum aber gaben die verschiedenen Auslegungen der mosaischen Schriften und der prophetischen Bücher zur Sektenbildung Veranlassung. Da nun die Menschen, und zwar nicht nur, wie Celsus meint, die ungebildeten und niedriger denkenden Leute, sondern auch viele von den griechischen Gelehrten in dem Christentum etwas Ehrwürdiges sahen, so mußten notwendig Sekten entstehen, keineswegs aus Neigung zu Spaltungen und aus Lust am Streit, sondern weil auch mehrere Gelehrte in die Wahrheiten des Christentums tiefer einzudringen sich bestrebten. Infolgedessen wurden S. 219 die Schriften, die von allen als göttlich anerkannt waren, verschieden ausgelegt, und so entstanden Sekten, benannt nach den Männern, die zwar den Ursprung der christlichen Lehre bewunderten, aber aus mancherlei Ursachen zu Auffassungen kamen, die voneinander abwichen. Es wäre aber doch wenig vernünftig, wenn man von der Heilkunde wegen der in ihr vorhandenen verschiedenen Richtungen nichts wissen wollte, oder wenn man nach würdigen Zielen streben und sich doch mit Haß von der Philosophie abwenden und diesen Haß damit rechtfertigen würde, dass die Philosophen unter sich vielfach nicht einig seien. Ebensowenig darf man die heiligen Bücher des Moses und der Propheten wegen der Sekten verdammen, die unter den Juden entstanden sind.
