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Wenn durch Wort und Schrift die Menschen, welche einen schlechten Lebenswandel führen, von uns zur Bekehrung aufgefordert und zur Sinnesänderung und Besserung ihrer Seele ermahnt werden, so verdreht dies Celsus hierauf und behauptet, „wir lehrten, Gott sei (nur) für die Sünder gesendet worden“1. Dies ist gerade so, wie wenn er Leuten einen Vorwurf machen würde, wenn sie sagten, ein menschenfreundlicher König habe in eine Stadt seinen Arzt wegen der Personen geschickt, die in derselben krank lägen.„Gesandt wurde“ nun Gott, das Wort, insofern er Arzt war, für die Sünder, insofern er aber Lehrer göttlicher Geheimnisse war, für die, welche bereits rein sind und nicht mehr sündigen. Celsus aber kann dies nicht auseinanderhalten, weil er gar nicht tiefer in die Sache eindringen wollte, und fährt deshalb fort: „Warum aber wurde er nicht zu den Sündlosen gesandt? Ist es denn etwas Böses, keine Sünde begangen zu haben?“ Wir antworten: Meint er unter „den Sündlosen“ solche, die nicht mehr sündigen, so wurde Jesus, unser Heiland, auch für diese gesandt, aber nicht als Arzt. Versteht er aber unter „den Sündlosen“ solche, die niemals gesündigt haben - denn das hat er in seinem Ausdruck nicht scharf bestimmt -, dann sagen wir: Einen Menschen, der in diesem Sinne „sündlos“ wäre, kann es nicht geben. Wenn wir dies aber sagen, so nehmen wir den S. 276 Menschen aus, der in Jesus ist, wie der Glaube uns lehrt, und „der keine Sünde getan hat“2. Boshaft sagt nun Celsus von uns, dass wir angeblich folgendes behaupteten: „Den Ungerechten, der sich im Bewußtsein seiner Schlechtigkeit demütigt, wird Gott annehmen; den Gerechten aber, der von Anfang an im Vertrauen auf seine Tugend zu ihm das Auge erhebt, den wird er nicht annehmen.“ Wir erklären es <nämlich> für unmöglich, dass ein Mensch „von Anfang an im Vertrauen auf seine Tugend zu Gott emporschaue“.
Es muß vielmehr zuerst die Sünde im Menschen herrschen, wie auch Paulus sagt: „Als aber das Gebot gekommen war, lebte die Sünde auf, ich aber starb“3. Wir lehren übrigens nicht, „dass es für den Ungerechten genüge, sich im Bewußtsein seiner Schlechtigkeit zu demütigen, um von Gott angenommen zu werden“; wir sagen vielmehr: Wenn er seine früheren Sünden verdammt und im Bewußtsein derselben „demütig“ wandelt und für die Zukunft „sittsam“4, so wird ihm Gott aufnehmen.
