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Es entspricht seiner ganzen Anschauung, wenn Celsus beifügt: "Seine Natur völlig zu ändern, ist die schwierigste Sache von der Welt. Wir aber wissen, dass alle vernünftigen Seelen ihrer "Natur" nach gleich sind, und behaupten, dass keine von ihnen böse war, als sie aus der Hand des Schöpfers aller Dinge hervorging, dass aber viele Menschen durch Erziehung, durch Verkehr und durch schlechte Reden in solchem Grade verdorben werden, dass die Sünde in einigen sogar gleichsam zur andern Natur wird. S. 283 Deshalb glauben wir, dass es für das göttliche Wort nicht nur nicht unmöglich, sondern nicht einmal besonders schwierig ist, diese zur Natur gewordene Verdorbenheit zu heben, wenn man nur das eine zugesteht, dass wir uns dem über allen waltenden Gott vertrauensvoll hingeben und alles tun müssen in der Absicht, ihm wohlzugefallen, bei welchem die Worte des Dichters nicht zutreffen: "Gleicher Ehre genießt der Schlechte, und gleicher der Edle; Gleich auch stirbt der Träge dahin, und wer vieles getan hat."1
Ist aber dieses "Anderswerden" für manche eine "sehr schwierige Sache", so muß die Ursache davon in ihrer eigenen Überzeugung gefunden werden, die sich die Tatsache anzuerkennen scheut, dass der allmächtige Gott für jeden ein gerechter Richter über alles das sein wird, was er im Leben getan hat. Denn auch bei den Dingen, die sehr schwierig und - um einen starken Ausdruck zu gebrauchen - nahezu unmöglich zu sein scheinen, vermag guter Wille, verbunden mit Übung, nicht wenig. Oder vermag ein Mensch, der Lust dazu hat, infolge von Übung und Aufmerksamkeit auf einem mitten durch das Theater in der Höhe ausgespannten Seile zu gehen und dabei noch große und schwere Lasten zu tragen, sollte aber, trotzdem er den Willen hat, nicht imstande sein, tugendhaft zu leben, wenn er auch früher sehr schlecht gewesen ist? Man beachte doch, ob man mit solchen Behauptungen nicht vielmehr der Schöpfernatur, die das vernünftige Wesen ins Dasein gerufen hat, Vorwürfe macht als dem Geschaffenen, wenn man die Natur des Menschen als fähig für so schwierige und keineswegs nutzbringende Dinge, aber als unfähig für die Erwerbung der eigenen Seligkeit darstellt. Aber dies genügt für die Worte des Celsus: "Denn seine Natur völlig zu ändern, ist die schwierigste Sache von der Welt."
Er fährt dann fort: "Die Sündlosen aber haben Anteil an einem besseren Leben", ohne jedoch anzugeben, wer nach seiner Meinung S. 284 "sündlos" ist, ob der von Anfang an "Sündlose" oder der, welcher es infolge seiner Umwandlung geworden ist. Einen, der es von Anfang an ist, kann es nicht geben; solche, die es nach ihrer Umwandlung und nach ihrer Annahme der Heilslehre geworden sind, werden sich nur selten finden. Sie sind es auch nicht zu der Zeit, da sie den Glauben annehmen; denn ohne den Glauben, und zwar ohne den vollkommenen Glauben, kann kein Mensch "sündlos" werden.
Homer, Il. IX 319. 320. ↩
