5.
Nehmt meine Rede nur als Beispiel und Schatten der Wahrheit, nicht als die Wirklichkeit von den Dingen selbst! Es ist ja nicht möglich, daß die an den Beispielen gemachte Beobachtung in allweg mit dem harmoniert, wozu die Beispiele herangezogen werden. Wo nun, fragen wir, wird das unterscheidende und verbindende Moment in unserer sinnlichen Wahrnehmungswelt beobachtet? Du hast wohl schon einmal im Frühling den glänzenden Bogen im Gewölke gesehen, ich meine jenen Bogen, den man im gewöhnlichen Sprachgebrauche Regenbogen nennt. Von ihm behaupten nun die hierin Fachkundigen, er entstehe dann, wenn Feuchtigkeit mit der Luft sich vermengt und die Gewalt der Winde das Flüssige und Kondensierte in den Ausdünstungen zur Wolkenbildung treibt und dann in Regen auflöst. Die Regenbogenbildung erklären sie also: Sobald der Sonnenstrahl das Dichte und Dunkle im Gewölk schräg durchbricht und dann senkrecht einer Wolke seinen eigenen Kreis einzeichnet, erfolgt gleichsam ein Zurückprallen und Zurückfluten des Lichtes auf sich selbst, indem der Glanz in der entgegengesetzten Richtung vom Nassen und Glänzenden sich auflöst1. Denn bei der Natur der flammenden Strahlen, beim Auffallen auf einer ebenen Fläche sich zu brechen und zurückzufluten, und bei der runden Form der Sonne, die durch den Strahl in der Nässe und in der Ebene der Luftschicht sich bildet, S. 76 wird notwendig auch die Luft, die der Wolke am nächsten ist, entsprechend der Gestalt des Sonnenkreises vom leuchtenden Glanz umschrieben. Dieser Glanz ist also sowohl in sich zusammenhängend als auch geteilt. Denn obschon vielfarbig und vielgestaltig, mischt er doch unauffällig die verschiedenen Farbentöne und benimmt so unbemerkbar unserem Auge den Blick für die Aneinanderreihung der verschiedenen Farben. So gewahrt man keine Übergangsstelle, wo die Farbentöne sich binden und scheiden, die himmelblaue Farbe und die feuerrote, die feuerrote und die purpurne, diese und die gelbe. Denn weil man das Leuchten aller Farben in demselben Augenblick schaut und die Farben von ferne schimmern und in ihrer gegenseitigen Verbindung die Markierungslinien nicht zu finden sind, so entziehen sie sich einer kritischen Scheidung, so daß es unerfindlich ist, wie weit das Feuerrot oder das Smaragdene des Glanzes geht und von wo ab es nicht mehr so ist, wie es im Glanze erscheint. Wie wir nun an diesem Beispiel einerseits den Farbenunterschied deutlich erkennen, anderseits keine Distanz zwischen der einen und andern mit unseren Sinnen wahrzunehmen vermögen, so, glaube ich, ist auch im Bereiche der göttlichen Lehren ein analoges Verhältnis denkbar: Danach leuchten die Proprietäten der Personen (Hypostasen) wie eine der Farben im Regenbogen in jeder der Personen, die in der Trinität bekannt werden, ohne daß dabei an eine Differenz derselben in der Naturgemeinschaft gedacht wird, wobei vielmehr nur in der Wesensgemeinschaft die für jede Person charakteristischen Eigenschaften an ihr strahlen. Auch dort in dem Beispiele war die Wesenheit, die jenen vielfarbigen Glanz ausgoß und durch den Sonnenstrahl gebrochen wurde, nur eine; die Farbe aber war verschieden. So belehrt uns die Vernunft durch die Schöpfung, nicht zu straucheln an Lehrsätzen des Glaubens, wenn wir auf ein schwieriges Problem stoßen und bei dessen Lösung uns den Kopf zerbrechen. Denn wie bei dem, was in die Augen fällt, die Erfahrung offenbar weiter reichte als eine theoretische Erörterung über die Ursache, so ist auch bei den unerfaßbaren Dogmen der Glaube besser als das Begreifen durch Vernunftschlüsse; dieser aber lehrt sowohl die Trennung in der Person wie auch die S. 77 Vereinigung in der Wesenheit. So hat denn unsere Erörterung in der Trinität etwas Gemeinsames und etwas Besonderes betrachtet: Von der Gemeinsamkeit ist die Rede mit Bezug auf die Wesenheit; die Person (Hypostase) aber bringt die Eigentümlichkeit des einzelnen zum Ausdruck.
ἀναλυούσης [analyousēs]. ↩
