69.
Wir wollen aber dartun, dass für die ganze Heilsveranstaltung sein „sofortiges körperliches Verschwinden von dem Pfahle“ nicht förderlich gewesen wäre. Das wahre und volle Verständnis der Dinge, die nach der Schrift über Jesus gekommen sind, läßt sich aus dem bloßen Wortlaut der geschichtlichen Darstellung nicht gewinnen. Denn durch ein jedes von ihnen wird nachweisbar auch irgendeine Wahrheit für die verständigen Leser der Schrift sinnbildlich angedeutet. So enthält seine Kreuzigung eine Wahrheit, die ausgesprochen ist in den Worten: „Ich bin mit Christus gekreuzigt“1, und wieder, wenn der Apostel sagt: „Mir aber komme es nicht bei, mich zu rühmen, außer des Kreuzes meines Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“2. Sein Tod war notwendig wegen dieses Wortes: „Denn was er gestorben ist, das ist er ein für allemal der Sünde gestorben“3 und weil der Gerechte sagt: „Indem ich seines S. 190 Todes Gestalt annehme“4, und weiter: „Denn wenn wir mit ihm gestorben sind, so werden wir auch mit ihm leben“5. So kann auch sein Begräbnis auf diejenigen bezogen werden, „die seines Todes Gestalt angenommen haben“ und die mit ihm gekreuzigt worden und mit ihm gestorben sind. So belehrt uns Paulus, wenn er sagt: „Denn wir sind mit ihm begraben worden durch die Taufe“ und „auferstanden mit ihm“6.
Das, was die Schrift von seinem Begräbnis, von seinem Grabe und von dem berichtet, der ihn bestattet hat, werden wir passender bei einer anderen Gelegenheit, wo über diese Dinge besonders zu sprechen ist, ausführlich erklären. Für jetzt genügt es, von „der reinen Leinwand“ zu reden, in welche der reine Leib Jesu eingehüllt werden sollte, und von dem neuen Grabe, „das Joseph in einen Felsen hatte brechen lassen“7, „wo noch niemand gelegen hatte“8, oder wie Johannes sagt, „in dem noch niemand beigesetzt war“9. Man frage sich, ob <nicht10> die Übereinstimmung der drei Evangelisten und ihre Sorgfalt, mit der sie verzeichnen, dass „das Grab in einem Felsen gebrochen oder ausgehauen“ war, einen dazu veranlassen könnte, die Bedeutung der berichteten Tatsachen zu erforschen und in ihnen etwas Bemerkenswertes zu sehen, sowohl in der Neuheit des Grabes, wovon Matthäus und Johannes erzählen11, als in dem Umstande, dass dort noch keine Leiche gelegen hatte, wie bei Lukas und Johannes zu lesen ist12. Er mußte ja, da er den übrigen Toten nicht glich, sondern auch im Zustande des Todes als Zeichen des Lebens „das Wasser und Blut“ aufwies13 und da er sozusagen ein neuer Toter war, auch in einer S. 191 neuen und reinen Grabstätte liegen. Denn wie seine Geburt reiner war als jede andere Geburt, da er nicht durch Vereinigung der Geschlechter, sondern von einer Jungfrau geboren worden war, so sollte auch sein Begräbnis mit Reinheit geziert sein. Diese war aber sinnbildlich dadurch ausgedrückt, dass sein Leib in ein neues Grab gelegt wurde, das nicht aus zusammengetragenen Steinen erbaut war und der natürlichen Einheit entbehrte, sondern „in einen Felsen gebrochen“ oder „ausgehauen“14 war, der aus einem einzigen Stücke bestand und überall zusammenhing.
Die Erklärung dieser Dinge, die Beziehung der erzählten Tatsachen auf die Wahrheiten, welche durch sie angedeutet sind, kann an einem passenderen Orte in einer eigenen Abhandlung ausführlicher und besser geschehen. Hält man sich aber nur an den Wortlaut, so kann man sagen: Nachdem er beschlossen hatte, die Kreuzigung zu erdulden, mußte er sich auch allem unterziehen, was damit zusammenhing; er mußte also auch als Mensch begraben werden, da er als Mensch getötet worden und als Mensch gestorben war. Doch nehmen wir an, es stände in den Evangelien geschrieben, Jesus sei „sogleich von dem Pfahle verschwunden“, dann würde dieser Bericht von Celsus und den Ungläubigen getadelt und mit solchen Worten angeklagt werden: Warum „ist er“ denn erst nach seiner Kreuzigung „verschwunden“ und hat dies nicht bewerkstelligt, ehe sein Leiden begann? Wenn sie nun aus den Evangelien erfahren haben, dass er nicht „sogleich von dem Pfahle verschwunden ist“, und wenn sie deshalb die Schrift verunglimpfen zu dürfen glauben, weil sie nicht, wie jene forderten, sein „plötzliches Verschwinden von dem Pfahle“ erdichtet, sondern den wahren Vorgang erzählt hat: ist es da nicht wohlbegründet, dass sie auch an seine Auferstehung glauben und nicht zweifeln, dass er ganz nach seinem Willen bald „bei verschlossenen Türen mitten unter seine Jünger trat“15, bald zweien S. 192 seiner Freunde Brot gab und alsbald „unsichtbar vor ihnen wurde“, nachdem er einige Zeit mit ihnen gesprochen hatte?16.
Gal 2,20. ↩
Ebd. 6,14. ↩
Röm 6,10. ↩
Phil 3,10. ↩
2 Tim 2,11. ↩
Vgl. Röm 6,4.5 und Or. III 172, 25 Apparat. ↩
Vgl. Mt 27,59.60 (Mk 15,46; Lk 23,53). ↩
Lk 23,53. ↩
Joh 19,41. ↩
Siehe Scan. ↩
Vgl. Mt 27,60; Joh 19,41. ↩
Vgl. Lk 23,53; Joh 19,41. ↩
Vgl. Joh 19,34. ↩
Siehe Scan. ↩
Vgl. Joh 20,26. ↩
Vgl. Lk 24,30.31. ↩
