XXIV.
S. 66 Nach nicht langer Zeit, wie Orosius berichtet, brach das Volk der Hunnen, das über alle Begriffe roh und wild ist, gegen die Goten los. Über ihren Ursprung haben wir folgenden Bericht vom Altertum überkommen. Filimer, König der Goten, Sohn Gadarichs des Großen, nach der Auswanderung aus der Insel Skandza der fünfte Beherrscher der Geten, der auch, wie oben von uns berichtet wurde, mit seinem Volk nach Scythien zog, erfuhr von dem Aufenthalt gewisser Zauberweiber in seinem Volk, die er selbst in seiner Muttersprache Halirurunnen nennt. Da er sie für verdächtig hielt, vertrieb er sie und nötigte sie, fern von seinem Heer in Einöden umherzuirren. Dort wurden sie von unreinen Geistern, als sie in der Wüste umherschweiften, erblickt; diese begatteten sich mit ihnen und umarmten sie, und so entstand dieses wilde Geschlecht. Zuerst hielten sie sich zwischen den Sümpfen auf, ein unansehnliches, häßliches und kleines, kaum menschenähnliches Geschlecht, an keiner Sprache erkenntlich außer an einem Etwas, das den Schein einer menschlichen Sprache durchblicken ließ. Diese Hunnen also, von solchem Ursprung, näherten sich dem Gebiet der Goten. Ihr wilder Stamm saß, nach dem Bericht des Geschichtschreibers Priskus, auf der jenseitigen Küste des Mäotischen Sumpfmeeres, ohne irgendeine Beschäftigung zu kennen außer der Jagd; nur daß sie, nachdem sie zu einem Volk herangewachsen waren, die Ruhe ihrer Nachbarvölker durch Raub und Hinterlist beeinträchtigten. Als - wie es so geht - Männer von diesem Volk auf die Jagd auszogen an der inneren Küste der Mäotis, bemerkten sie, wie unversehens eine Hindin sich zeigte, die in den S. 67 Sumpf ging und bald weiterschreitend, dann wieder haltend, ihnen den Wegweiser machte. Die Jäger folgten ihr und gingen zu Fuß durch das Mäotische Sumpfmeer, das sie bisher wie ein wirkliches Meer für undurchgänglich gehalten hatten. Darnach, als scythischer Boden den Landfremden vor Augen lag, verschwand die Hindin. Dies hatten meiner Meinung nach jene Geister, von denen sie entsprossen sind, aus Feindschaft gegen die Scythen getan. Jene Hunnen aber, die bisher nicht gewußt, daß es noch eine andere Welt gebe außer der Mäotischen, wurden von Bewunderung über das scythische Land ergriffen und, scharfsinnig wie sie sind, meinten sie, dieser niemanden vorher bekannte Weg sei ihnen durch göttliche Fügung gezeigt worden. Sie kehrten zu den ihrigen zurück, berichteten ihnen den Verlauf der Sache, rühmten Scythien, überredeten ihr Volk und eilten auf dem Weg, den sie unter Führung der Hindin kennen gelernt hatten, nach Scythien, brachten alle, denen sie beim Zug nach Scythien begegneten, als Siegesopfer dar, die übrigen unterwarfen sie. Hierauf überschritten sie jenen ungeheuern Sumpf, rissen sogleich wie eine Art Völkerwirbelwind die Alcildzuren, Itimaren, Tunkarser und Boisker, welche die Küste in jenem Teil von Scythien bewohnten, mit sich fort. Auch die Halanen, die ihnen im Kampf gewachsen, an Gesittung aber, Lebensweise und Schönheit des Körperbaus verschieden waren, suchten sie mit wiederholten Kämpfen heim und unterwarfen sie. Denn auch die, welchen sie im Krieg vielleicht nicht überlegen waren, erfüllten sie mit Entsetzen durch das Schreckliche ihres Anblicks und jagten sie durch ihr furchtbares Aussehen in die Flucht; sie hatten nämlich ein schreckliches, schwärzliches Ansehen und, wenn man so sagen darf, gewissermaßen S. 68 einen abscheulichen Klumpen und kein Gesicht, eher Punkte als Augen. Ihre Verwegenheit verrät schon ihr grimmiger Anblick, da sie sogar gleich am Tag der Geburt ihren Kindern ihre Grausamkeit zeigen. Denn den männlichen durchschneiden sie mit Eisen die Wangen, um sie, noch ehe sie Milch genießen, Wunden ertragen zu lehren. Daher bleiben sie bartlos bis in ihr Alter und erreichen das Mannesalter ohne Bartschmuck, weil das von Schnitten durchfurchte Gesicht die rechtzeitige Verschönerung des Bartwuchses durch die Narben verhindert. Sie sind unansehnlich, aber flink und ausgezeichnete Reiter. Sie sind breitschulterig und geübt für Bogen und Pfeile; ihr Nacken ist stark und immer emporgerichtet vor Stolz. In der Gestalt von Menschen leben sie in tierischer Wildheit.
Als die Geten dieses kampfrüstige Volk, das schon viele Stämme vernichtet hatte, sahen, erschraken sie und berieten sich mit ihrem König, wie sie sich einem solchen Feind entzögen. Zwar hatte der Gotenkönig Hermanarich, wie wir oben berichtet haben, über viele Völker triumphiert; als er sich jedoch Gedanken machte wegen der Ankunft der Hunnen, gelang es dem treulosen Volk der Rosomonen, das ihm damals mit andern untertan war, ihn auf folgende Weise zu hintergehen. Als er eine Frau namens Sunilda aus eben diesem Volk im Zorn über die trügerische Flucht ihres Mannes hatte an wilde Pferde binden und so auseinanderreißen lassen, rächten ihre Brüder Sarus und Ammius der Schwester Tod und stachen dem Hermanarich mit dem Schwert in die Seite. Infolge dieser Wunde schleppte dieser bei siechem Körper ein elendes Dasein dahin. Die Zeit der Krankheit des Königs benutzte der Hunnenkönig Balamber und rückte S. 69 mit einem schlagfertigen Heer in das Gebiet der Ostrogoten ein, von denen die Wesegoten infolge gegenseitiger Eifersucht getrennt waren. Da starb Hermanarich, der ebenso wenig den Schmerz seiner Wunde, als die Einfälle der Hunnen ertragen konnte, hochbetagt und lebenssatt im 110. Lebensjahr. Sein Tod gab den Hunnen die Übermacht über die Goten, die, wie erwähnt, im Osten saßen und Ostrogoten hießen.
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