VII.
S. 34 Als nach seinem Tod das Heer unter seinen Nachfolgern in andere Länder zu Felde gezogen war, suchte ein Nachbarvolk die zurückgelassenen Weiber der Goten zu rauben. Diese jedoch leisteten, da sie es von ihren Männern gelernt hatten, tapfer Widerstand und wiesen ihre Bedränger mit großer Schmach ab. Nach dem Sieg ergriffen sie, von kühnem Mut beseelt, indem sie sich gegenseitig dazu aufforderten, die Waffen und wählten zwei besonders kühne Frauen, Lampeto und Marpesia, zu Fürstinnen. Indem diese nun auf den Schutz des eigenen Landes und auf die Verwüstung des fremden bedacht waren, blieb Lampeto, nachdem sie darüber das Los geworfen, zurück, um die Heimat zu verteidigen; Marpesia aber führte das Heer der Weiber und brach mit dieser ganz neuen Kriegergattung in Asien ein, unterwarf verschiedene Völker mit den Waffen, andere gewann sie durch friedliche Unterhandlungen für sich und kam bis zum Kaukasus, wo sie sich eine Zeitlang aufhielt und jener Gegend den Namen Marpesiafels gab. Daher sagt Vergil: „Grad´ als starrte ein Kiesel empor, ein marpesischer Felsblock“; da wo später Alexander der Große Tore bauen ließ, denen er den Namen „Kaspische Pforten“ gab, wo jetzt zum Schutz des Römischen Reiches die Lazen stehen. Hier eine Zeitlang verweilend erstarkten die Amazonen. Dann brachen sie auf, überschritten den Fluß Alis, der an der Stadt Gargara vorbeifließt, und unterwarfen, überall gleich glücklich, Armenien, Syrien, Zilizien, Gallien, Pisidien und alle Städte Kleinasiens. Dann wandten sie sich gegen lonien und Äolien und machten es sich untertan. Hier hatten sie eine längere Herrschaft und S. 35 benannten auch Städte und Burgen nach ihrem Namen. In Ephesus erbauten sie wegen ihrer Lust am Schießen und an der Jagd, die sie mit Leidenschaft betrieben, der Diana mit großem Aufwand einen wunderschönen Tempel. Auf solche Weise also geschah es, daß sich scythische Weiber der Herrschaft in Asien bemächtigten, welche sie an hundert Jahre behielten. Hierauf kehrten sie endlich zu ihren Genossinnen in die oben erwähnten Marpesischen Felsen, d. h. in den Kaukasus, zurück. Da wir nun schon zweimal auf dieses Gebirge zu sprechen gekommen sind, so glaube ich, daß es der Sache nicht fern gelegen sei, seinen Zug und seine Lage zu beschreiben, da er bekanntlich ohne Lücke den größten Teil der Erde begrenzt. Er erhebt sich vom Indischen Ozean, und an der Seite, wo er dem Süden zugewandt ist, glüht er infolge der Sonnenhitze; auf der Nordseite ist er unwirtlich durch frostige Winde und Reif. Dann macht er einen Bogen und verläuft nach Syrien und entsendet neben vielen andern Flüssen nach der verbreitetsten Meinung in das Vasianensische Land den Euphrat und Tigris, die beide schiffbar sind aus der reichlichen Menge immer fließender Quellen. Diese beiden umfassen das Land der Syrer, dem sie seinen Namen Mesopotamien und seine Gestalt geben, und ergießen ihre Fluten in einen Busen des Roten Meeres. Dann wendet sich oben besagtes Gebirge nach Norden, zieht mit großen Krümmungen durch die scythischen Lande, und von hier aus sendet es sehr namhafte Flüsse in das Kaspische Meer, wie den Araxes, den Cysus und den Kambises, und dehnt sich in seiner Fortsetzung bis an die Riphäischen Berge aus. Von da geht es, indem es mit seinen Abhängen das Scythenland begrenzt, bis zum Pontischen Meer, und erreicht mit seinen Ausläufern S. 36 auch die Fluten des Hister; durch diesen Fluß wird es gespalten und heißt in Scythien auch Taurus. Von solcher Beschaffenheit und solcher Ausdehnung ragt es, das größte fast aller Gebirge, mit seinen hohen Gipfeln empor und bietet durch seinen natürlichen Bau seinen Völkern unübersteigbare Bollwerke. Denn mit stellenweisen Einschnitten, wo im Spalt des getrennten Gebirges ein offenes Tal ist, hat es die Kaspischen, dann die Armenischen, dann die Zilizischen und andere Tore, die nach der Gegend, worin sie sich befinden, verschiedene Namen haben; aber kaum ein Wagen kann dort fahren, da auf beiden Seiten die Felswände jäh abgerissen sind. Bei den verschiedenen Völkern hat es verschiedene Namen. Hier nennt es der Inder Lammus, dort Propanissimus; der Parther heißt es zuerst Kastra, später Nifates; der Syrer und Armenier nennt es Taurus; bei den Scythen hat es die Namen Kaukasus und Riphäus und am Ende wieder Taurus; noch viele andere Benennungen haben die Völker diesem Gebirge gegeben. Und weil wir jetzt auch von seiner Erstreckung einiges berichtet haben, so wollen wir nun wieder zu den Amazonen zurückkehren, von denen wir ausgegangen sind.
